Standort für die internationale Fusionsanlage ITER festgelegt

Cadarache in Südfrankreich ausgewählt / Japan erhält Vorzugsbedingungen


Die Entscheidung für den Bau der internationalen Fusionstestanlage ITER (lat.: „der Weg“) ist gefallen: Standort für die Forschungsanlage wird Cadarache in Südfrankreich; Japan hat sein Standortangebot Rokkasho zurückgezogen. Dies gaben nach fast zweijährigen Verhandlungen die Vertreter der Projektpartner – Europa, Japan, Russland, die USA, China und Südkorea – bei einem Treffen in Moskau am 28. Juni 2005 in einer gemeinsamen Erklärung bekannt.

Bereits im Mai hatte man sich in einer bilateralen „technischen Vereinbarung“ zwischen Japan und Europa auf die Aufteilung der Investitionskosten von 4,6 Milliarden Euro auf den Gastgeber und die übrigen Partner geeinigt: Der Gastgeber – wie jetzt feststeht, Europa – übernimmt die Standortkosten, d.h. 20 Prozent der Gesamtsumme, die Hälfte davon trägt Frankreich. Die verbleibenden 80 Prozent sind die eigentlichen Baukosten der Anlage: Europa übernimmt 30 Prozent, Japan, China, Russland, die USA und Südkorea je 10 Prozent, und zwar im wesentlichen in Form fertiger Bauteile, die in den jeweiligen Ländern hergestellt und dann nach Cadarache geliefert werden. Zum Ausgleich für den entgangenen ITER-Standort werden Japan Vorzugsbedingungen eingeräumt: An die japanische Industrie werden Fertigungsaufträge im Umfang von 20 Prozent der Kosten gehen, wobei die Hälfte aus dem europäischen Kostenbeitrag finanziert wird. Auch 20 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter kann Japan stellen. Zudem wird die EU zu weiteren Forschungsprojekten in Japan beitragen, die das ITER-Projekt im Rahmen eines „breiter angelegten Konzepts“ ergänzen, zum Beispiel zu einer Materialtestanlage. Weitere Einzelheiten wie die Rechtsform des supranationalen Projekts und seine Organisation sollen in einem späteren Abkommen festgelegt werden.

„Wir freuen uns sehr, dass die wichtige ITER-Entscheidung gefallen ist und ein europäischer Standort ausgewählt wurde,“ erklärt Prof. Dr. Alexander Bradshaw, der wissenschaftliche Direktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching und Greifswald. „Die europäischen Fusionszentren müssen ITER nun angemessen unterstützen. Ein leistungsfähiges begleitendes Fusionsprogramm muss sicherstellen, dass in Europa – und damit auch in Deutschland – für den in rund zehn Jahren beginnenden Forschungsbetrieb genügend Wissenschaftler ausgebildet werden. Ebenso soll es die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die an der Großanlage ITER erzielten Kenntnisse der Forschung und Industrie in den beteiligten Ländern zugute kommen und sie in die Lage versetzten, ein Fusionskraftwerk zu planen und zu bauen.“

Der Experimentalreaktor ITER ist der nächste große Schritt der weltweiten Fusionsforschung. Die Anlage soll zeigen, dass ein Energie lieferndes Fusionsfeuer möglich ist. ITER wurde seit 1988 in weltweiter Zusammenarbeit von europäischen, japanischen, russischen und bis 1997 auch US-amerikanischen Fusionsforschern vorbereitet. 2003 haben sich dem Projekt China und Südkorea angeschlossen; auch die USA kehrten in die Zusammenarbeit zurück. Mit einer Fusionsleistung von 500 Megawatt soll ITER erstmals ein brennendes und Energie lieferndes Plasma erzeugen. Angestrebt wird ein Energiegewinnungsfaktor von mindestens 10: das zehnfache der zur Plasmaheizung aufgewandten Energie soll als Fusionsenergie gewonnen werden. Nach einer Bauzeit von etwa zehn Jahren werden rund 600 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker rund zwanzig Jahre an der Anlage arbeiten. Die Baukosten belaufen sich auf rund 4,6 Milliarden Euro, die Betriebskosten – einschließlich Rücklagen für den späteren Abbau – werden auf jährlich 265 Millionen Euro veranschlagt.

Das IPP, eines der größten Fusionszentren in Europa, arbeitet mit seinem Fusionsexperiment ASDEX Upgrade seit Jahren an ITER-relevanten Fragen. Die physikalischen Grundlagen für den Testreaktor wurden in wesentlichen Teilen im IPP entwickelt. Mit seiner ITER-ähnlichen Geometrie wird ASDEX Upgrade auch in Zukunft eine große Rolle spielen, zum Beispiel bei der Suche nach optimierten Betriebsweisen für den Testreaktor. Daneben entwickelt das IPP Teile der Plasmaheizung von ITER sowie Analyseverfahren für das Plasma. Die internationale ITER-Planungsgruppe (Joint Work Site Europe) ist seit Projektbeginn 1988 am IPP in Garching zu Gast. Mit dem Baubeginn von ITER wird sie jedoch zusammen mit Teilen der ebenfalls am IPP ansässigen Europäischen Technologieplanungsgruppe EFDA (European Fusion Development Agreement) nach Cadarache bzw. nach Barcelona in Spanien verlagert, wo die „ITER European Legal Entity“ ihren Sitz haben wird.

Hintergrund: Energiequelle Fusion
Ziel der Fusionsforschung ist es, ein Kraftwerk zu entwickeln, das – ähnlich wie die Sonne – aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie erzeugt. Um das Fusionsfeuer zu zünden, muss der Brennstoff – ein Plasma aus den Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium – in Magnetfeldern eingeschlossen und auf hohe Temperaturen aufgeheizt werden. Ein Gramm Brennstoff könnte 90.000 Kilowattstunden Energie freisetzen – die Verbrennungswärme von elf Tonnen Kohle.

Die Rohstoffe der Fusion sind in nahezu unerschöpflichen Mengen überall vorhanden. Weil ein Kraftwerk zudem günstige Umwelt- und Sicherheitseigenschaften erwarten lässt, könnte die Fusion einen nachhaltigen Beitrag zur Energieversorgung der Zukunft leisten: Fusion ist nach heutigem Wissen eine katastrophenfreie Technik. Ein Kraftwerk kann so konstruiert werden, dass es keine Energiequellen enthält, die – wenn sie außer Kontrolle geraten – eine Sicherheitshülle von innen zerstören könnten. Es kann also nicht „durchgehen“. Als radioaktiver Abfall bleiben die Wände des Plasmagefäßes zurück, die nach Betriebsende zwischengelagert werden müssen. Die Aktivität des Abfalls nimmt rasch ab: nach etwa 100 Jahren auf ein zehntausendstel des Anfangswerts. Werden spezielle Materialien mit niedrigem Aktivierungspotential sowie effiziente Rezyklierungsverfahren entwickelt, so wäre nach hundert Jahren Abklingzeit kein Abfall mehr zu isolieren. Das gesamte Material wäre dann freigegeben bzw. in neuen Kraftwerken wieder verwendet.

Auf dem Weg zu einem Kraftwerk soll ITER zeigen, dass ein Energie lieferndes Fusionsfeuer möglich ist. Das Experiment soll damit die Voraussetzungen für eine Demonstrationsanlage DEMO schaffen, die alle Funktionen eines Kraftwerks erfüllt. Angesichts von je 30 Jahren Planungs-, Bau- und Betriebszeit für ITER und seinen Nachfolger DEMO könnte ein Fusionskraftwerk etwa in 50 Jahren wirtschaftlich nutzbare Energie liefern.

Media Contact

Isabella Milch idw

Weitere Informationen:

http://www.ipp.mpg.de

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