Dichtungsmasse leitet Daten – Lichtleitendes Silikon beschleunigt Computer

Kein Liebhaber eines heimischen Aquariums wundert sich mehr über die vier Kanten an seinem Aquarium, an denen transparente Silikonnähte die Scheiben trotz des ungeheuren Wasserdrucks fest zusammenhalten – und das nur an den dünnen Schnittkanten. Der Stoff mit den beeindruckenden Eigenschaften heißt auch hier: Silikon.

Der Brockhaus beschreibt „Silikon“ als „eine Gruppe von synthetischen polymeren Verbindungen, die Siliziumatome, Sauerstoffatome sowie organische Reste enthalten. Silikone sind schlechte elektrische Leiter (also gute elektrische Isolatoren), jedoch gute Wärmeleiter.“ Das stimmt zwar, aber nicht mehr so ganz. Denn Prof. Dr.-Ing. Andreas Neyer hat eine weitere, wichtige und wegweisende Eigenschaft des Silikons entdeckt. Was die Scheiben des Aquariums zusammenhält oder die Fugen rund um Badewanne, Waschbecken oder Dusche vor eindringen-dem Wasser schützt, taugt zu weit mehr als nur zum dicht halten. Silikon kann auch Lichtstrahlen leiten, dann jedoch nicht im Badezimmer, sondern im Computer. Dabei hält es ebenfalls dicht: kein Lichtstrahl dringt heraus.

Andreas Neyer hält eine dünne, glibberige Scheibe Silikon in der Hand. Sie ist klar wie Glas, biegsam wie Gummi und kann Licht leiten wie eine Glasfaser im Telefonnetz. Und ist doch im wesentlichen derselbe Stoff, aus dem die Fugen im Badezimmer sind. „Polydimethylsiloxan“, PDMS, heißt der Stoff, den Neyer für die moderne Informations- und Kommunikationsgesellschaft entdeckt hat und der „bisher für alles benutzt wird, nur nicht zum Lichtleiten“. Das wird sich nun ändern. Der Leiter des Arbeitsgebietes Mikrostrukturtechnik der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der Universität Dortmund zeigt eine kleine Elektronik-Platine, ein Plättchen, auf dem Computerchips und andere elektronische Bauelemente Platz haben, aus dem auch die Hauptplatine, das „Motherboard“ im heimischen PC besteht.

In der Mitte seiner Platine schimmert es silbrig, hier steckt die Silikon-masse zwischen zwei Schichten Leiterplattenmaterial aus Epoxydharz wie das Hackfleisch im Hamburger zwischen den Weißbrothälften. „Im Prinzip ist es nichts anderes als Glas mit organischen Anteilen“, schwärmt Neyer von dem Stoff PDMS, den er für sich und fürs Internet entdeckt hat. Denn das weltumspannende Netz der Netze soll mit dem lichtleitenden Silikon noch schneller und leistungsfähiger werden. Die jetzigen Datenleitungen stoßen bereits seit einiger Zeit an ihre physikalischen Grenzen.

Bei hohen Datenströmen im Gigabyte-Bereich – bei Milliarden von Bytes bzw. Zeichen in der Sekunde – treten äußerst unerwünschte – weil unangenehme – Nebenwirkungen auf. Dann nämlich gelten plötzlich andere Gesetze, und Leitungen beginnen, wie Antennen zu wirken: Die Daten sind hochfrequente Signale und erzeugen elektromagnetische Wellen, die ausgesendet werden, ganz ähnlich wie beim Funkmast eines Radiosenders. Gleichzeitig werden elektromagnetische Wellen aus der Nachbarschaft ähnlich wie beim Radioempfang eingefangen und in elektrische Signale umgesetzt, welche die ursprünglich auf der Leitung vorhandenen Signale stören, indem sie sich ihnen überlagern – die Fachleute reden von so genanntem „Übersprechen“.

Das Ergebnis ist ein Mischmasch aus Daten, mit dem niemand mehr etwas anfangen kann. Lichtleitungen sind dagegen absolut unempfindlich, sie beeinflussen sich gegenseitig überhaupt nicht. Egal welche Datenrate über sie transportiert wird, egal wie dicht sie nebeneinander liegen, ein „Übersprechen“ findet nicht statt. Neyers Traum ist deshalb eine Kombination von Elektronik und Licht, eine hybride elektrisch-optische Platine mit integrierten Lichtleitern. Das Fantastische: Lichtleiter können sich sogar kreuzen, ohne dass irgendein Signal vom Weg abkommt – im elektrischen Bereich wäre das absolut undenkbar.

Lichtleiter können sich verzweigen, wenn sie gesplittet werden. Und Lichtleiter können ein Vielfaches an Signalen gleichzeitig übertragen: Wenn die Daten im so genannten „Multiplex-Verfahren“ mit verschiedenen Lichtfarben übertragen werden, kommen sie sich gegenseitig nicht ins Gehege. Das Ganze wird möglich mit Hilfe eines Materials, das mit 50 Euro pro Kilogramm fast spottbillig ist.

Kennen gelernt hat Neyer den Universalwerkstoff in der Chemietechnik bei Dr. Frank Katzenberg. Dort werden mit dem Material Mikroanalysechips mit winzigen, filigranen Kanälen hergestellt, durch die geringste Flüssigkeitsmengen zu Analysezwecken fließen. „Dort wird das Material zu allem verwendet, nur nicht zum Lichtleiten“, erwähnt Neyer nicht ohne etwas Stolz in der Stimme über seine Entdeckung. Denn die optische Qualität und Lichtleitfähigkeit des Materials zählen für ihn „mit zu dem Besten, was wir kennen“.

Man merkt Neyer die Freude an der Entdeckung dieses Materials für neue, ungeahnte Zwecke an. Das glasklare Silikon ist nicht nur bestens lichtleitend, es ist zudem temperaturstabil, so dass es die 220 °C eines Lötbades wegsteckt – immerhin eine Temperatur, bei der Kunststoffe in der Regel schmelzen wie Butter in der Sonne.

Um das Silikon-Material PDMS als Lichtleiter nutzen zu können, braucht Neyer es mit zwei grundsätzlich verschiedenen Eigenschaften: einer Kernkomponente, die das Licht leitet, und einer zweiten Komponente, die den Kern umgibt. Gefertigt werden solche Silikonschichten mit Gieß- und Rakeltechniken. Für die Fertigung von Prototypen werden Gießformen aus geätzten Siliziumwafern benutzt, so dass – ein weiterer Vorteil – weitgehend die vorhandenen Maschinen zur Herstellung der neuen Hybrid-Platinen verwendet werden können. Neu dagegen sind die Dimensionen der nächsten Generation: mit 60 x 40 Zentimetern sprengen Andreas Neyers zukünftige Lichtleiter-Platinen die bisher üblichen Maße zur Erzeugung von Mikrostrukturen. Immerhin ist seine lichtleitende Schicht in der Platine mit 200 Mikrometern nur ein Fünftel Millimeter dick. Ganz zu schweigen von den lichtleitenden Kanälen, die mit 50 bis 70 Mikrometer nur rund ein Zwanzigstel Millimeter breit und tief sind. „Die Kantenrauigkeit darf nur 30 bis 40 Nanometer – also Millionstel Millimeter – betragen“, setzt Neyer noch eins drauf.

Diese Genauigkeit über Distanzen von über einem halben Meter einzuhalten ist wiederum eine Kunst für sich, „Nanotechnik im Quadratmetermaßstab“, wie Neyer es schmunzelnd nennt.

Zum einen ist die Herstellung der Lichtleiter selber denkbar einfach: Es braucht eine Form mit den späteren Lichtleiterbahnen, in welche das flüssige Silikonmaterial hauchdünn gegossen wird. Die auf der Form vorhandenen Linien bilden sich nach dem Aushärten als Kanäle in der gegossenen Silikonplatte ab. In einem zweiten Arbeitsgang werden diese Kanäle mit lichtleitendem Kern-Silikon gefüllt, fertig ist die Sandwich-Schicht, die dann zwischen das Platinenmaterial kommt. So weit so gut. Doch so einfach die Produktion der lichtleitenden Silikonschicht ist, so diffizil ist die Herstellung der Gießform. Wie dies in der Praxis und dazu noch preisgünstig geschehen kann ist gegenwärtig Gegenstand der Forschung.

Klar ist bisher: Die Form wird aus einer Glasplatte als Träger bestehen mit einer Schicht aus Fotolack, in welche die Lichtleiterbahnen einbelichtet werden. Die Leiterbahnen bleiben stehen, der Rest fällt beim Entwickeln weg. Doch wie belichtet man solch große Flächen von 60 x 40 Zentimetern auf den Mikrometer genau? Mit einem direktschreibenden Laser im „Direct Write Laser“-Verfahren? Oder muss erst noch eine Maske für die Belichtung angefertigt werden? Aber so große Masken gibt es bisher mit den geforderten Genauigkeiten nicht. Was in der Theorie schon längst geht, offenbart seine Tücken, wenn es auch in der praktischen Produktion wie am Schnürchen funktionieren soll.

Ein weiteres Problem ist die Ein- und Auskopplung der Lichtsignale. Denn das Licht muss von oben in die Platine hineingegeben und irgendwo anders auch wieder herausgeholt werden. Deswegen werden die Lichtleiterbahnen an den Austrittsöffnungen mit 45°-Mikrospiegeln versehen, welche die Lichtstrahlen im rechten Winkel umlenken. Zur Herstellung der Umlenkspiegel müssen die Lichtleiterstege bereits in der Gießform an den Enden mit einem Präzisions-Diamantfräser unter 45° angeschrägt werden. Ein bisher aufwändiges und daher nicht allzu elegantes Verfahren.

Viel Detailarbeit wartet also noch auf das Team von Andreas Neyer. Zwei Patente sind bisher für die Entwicklungsarbeit angemeldet worden, ein drittes Patentverfahren läuft gerade. Nicht nur beim Patentamt ist Neyer erfolgreich, auch beim Bundesministerium für Bildung und Forschung hat er gute Karten. Von 80 Förderanträgen aus dem Bereich der Mikro-Produktionstechnik hat er im März 2004 die meisten Punkte für sein – mit einem Industriekonsortium – beantragtes Projekt „ProSPeoS“ bekommen. In diesem Projekt soll im Zeitraum von Januar 2005 bis Dezember 2006 die weltweit erste Produktionskette zur Herstellung lichtleitender Platinen entwickelt werden. Die sechsmonatige Zwischenzeit seit der Beendigung des letzten Projektes, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis Juni 2004 gefördert wurde, konnte mit Hilfe von Universität und Fakultät gut überbrückt werden.

Das Interesse von Computerherstellern sowie Internetbetreibern an der neuen Technologie ist weltweit sehr groß. Und so sieht es gut aus, dass unsere Daten bald auch in den Internet-Servern mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden. Vielleicht aber leuchtet es bald auch in unseren Computern daheim, wenn sich zeigt, wie leistungsfähig Silikon sein kann – auch abseits von Aquarium und Badewanne.

Zur Person:
Prof. Dr.-Ing. Andreas Neyer leitet seit 1994 das damals neu gegründete Arbeitsgebiet „Mikrostrukturtechnik“. Geboren wurde er 1950 im west-fälischen Ibbenbüren. An der Universität Dortmund studierte er Physik und promovierte 1982 im Fachbereich Elektrotechnik der FernUniversität Hagen. Von 1982 bis 1990 arbeitete er als Assistent an der Universität Dortmund, anschließend vier Jahre als Privatdozent für optische Informationstechnik am Lehrstuhl für Hochfrequenztechnik.

Schwerpunktmäßig entwickelt Neyer neue Technologien zur Herstellung mikrostrukturierter Kunststoffteile, die in der Mikrooptik und Mikrofluidik eingesetzt werden. Andreas Neyer ist verheiratet und hat drei Kinder. In seiner Freizeit ist er mit seiner Familie bei den Pfadfindern der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg aktiv. Sein Arbeitsgebiet Mikrostrukturtechnik leitet er nach dem Motto „Geht nicht – gibt’s nicht“.

Media Contact

Ole Lünnemann idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-dortmund.de

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