CeBIT 2011: Für das Unerwartete gerüstet sein

Intuitives Arbeiten an der Videowand im SmartControlRoom. Wie kann man sich auf einen Ernstfall vorbereiten, den man nicht kennt? Mehrere Fraunhofer-Institute arbeiten an Strategien und Technologien, die helfen, Krisen besser und schneller in den Griff zu bekommen. Ihre Lösungen zeigen sie auf der CeBIT in Hannover (1. bis 5. März) in Halle 9, Stand B36.

Extreme Wetterlagen, Großunfälle, Waldbrände oder Anschläge: Bürger, Rettungskräfte und Behörden sollen möglichst früh informiert werden, um schnell reagieren zu können. »Eigenständige Warnsysteme für jeden dieser Katastrophenfälle und für jede Situation, in der sich Betroffene befinden, sind finanziell nicht machbar«, sagt Ulrich Meissen vom Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST in Berlin. »Zudem würden sie zu einer Vielzahl paralleler Informationen führen, die sich sogar gegenseitig behindern.« Beim Projekt KATWARN – Katastrophenwarnung für alle Fälle – setzt Meissen daher auf Multi-Hazard- und Multi-Channel-Technologien: Das bedeutet nichts anderes, als dass bereits bestehende Warnsysteme und -konzepte miteinander verbunden und so zu einem übergreifenden Warnsystem integriert werden.

Neben klassischen Kommunikationskanälen wie Telefon oder Radio werden auch neue Warntechnologien getestet. So sind zum Beispiel Gebäudemelder in öffentlichen oder Privathäusern installiert. Diese Melder arbeiten unabhängig vom Stromnetz und können analog zu Brandmeldern Ton-, Licht-, aber auch Sprach- und Textsignale abgeben auch wenn andere Systeme bereits ausgefallen sind. Um ältere Personen zu alarmieren, werden zudem spezielle Einblendungen für das Fernsehen erarbeitet, die eindeutig auf mögliche Gefahren hinweisen und sagen, was zu tun ist.

Überblick für Rettungskräfte

Das automatische Sammeln und Auswerten von Informationen spielt eine wichtige Rolle beim EU-Projekt PRONTO, das vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in Sankt Augustin koordiniert wird. Die Forscher entwickeln ein System, das Einsatzleitern und Rettungskräften dabei hilft, sich schnell einen Überblick über die Lage zu verschaffen. PRONTO sammelt eine Vielzahl von Informationen, führt sie zusammen und wertet sie selbstständig aus: digitale Landkarten, GPS, Signale von Wasser- oder Brandsensoren, Telefonanrufe, Fotos und Videos sowie die Meldungen der Einsatzkräfte auf Digitalfunkgeräten. Projektleiter Dr. Jobst Löffler erklärt die Vorteile: »Die Situation wird schneller klar und es wird übersichtlich im Lagezentrum dargestellt: Wie sieht der Einsatzort aus? Wo befinden sich Einsatzfahrzeuge? Wo gibt es Platz für Hilfsmaßnahmen, etwa für die Verletzten?« Mit visuell aufbereiteten Informationen werden Einsatzleiter in ihren Entscheidungen unterstützt und können gezielt Maßnahmen einleiten.

Endanwender testen und evaluieren das im Projekt entwickelte, prototypische System aktuell in Trainingseinsätzen unter realen Bedingungen. Die Feuerwehr Dortmund wird das System nutzen, um eine bessere Bewältigung von Krisensituationen zu trainieren. PRONTO wird außerdem bei einem gefahrloseren Szenario zum Einsatz kommen: dem öffentlichen Nahverkehr in Helsinki. Die Problemlage ist die gleiche, aber es fehlen die Hektik und der Druck einer Krisensituation. So kann man hier das Sammeln und Auswerten der Infos, ihre Integration ins System, das Datenmanagement und die Spracherkennung optimieren. Die Fraunhofer-Technologie soll künftig auch Sicherheitskräfte bei Großveranstaltungen unterstützen.

Die intelligente Einsatzzentrale

Moderne Lagezentren bestehen aus einer Videowand oder Monitoren, auf denen die Informationen zusammenlaufen und bildlich dargestellt werden. Wer damit arbeitet, hat über PC-Tastaturen, Maus oder Touchscreens Zugriff. In der Regel benötigt man dafür eine elektronische Berechtigung per Passwort. Um die Vorgänge im Kontrollraum zu beschleunigen und zu vereinfachen, haben Forscher des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Karlsruhe den SmartControlRoom entwickelt. Er erkennt die anwesenden Personen an Gesicht und/oder Stimme und lokalisiert, wo sie sich befinden. So werden Anmeldungen überflüssig. Wer auf welche Daten zugreifen darf, ist im System hinterlegt. Außerdem lässt sich die Videowand intuitiv bedienen. Für jeden Benutzer gibt es eine personalisierte Schnittstelle, die auf seine Bedürfnisse und Aufgaben abgestimmt ist. »In einem Kriseneinsatzraum benötigt der Koordinator von Notrufwagen beispielsweise andere Funktionen als der Feuerwehrführer«, sagt IOSB-Forscher Florian van de Camp. Um die jeweiligen Informationen genau für den anzuzeigen, für den sie bestimmt sind, werden die Personen »getrackt«, also beobachtet an welcher Stelle im Raum sie gerade stehen.

Späher für gefährliches Gelände

Feuer, Radioaktivität oder giftige Substanzen erschweren es im Notfall an genaue Informationen über die aktuelle Lage zu kommen. Aber gerade diese brauchen die Einsatzleiter, um die Rettungskräfte wirksam zu lenken, ohne ihr Leben zu gefährden. Forscher am IOSB haben deshalb ein Softwaresystem entwickelt, das es ermöglicht, beispielsweise Mini-Hubschrauber oder Helium-Ballons mit Kameras oder Gassensoren als Späher einzusetzen. Gesteuert werden die Geräte vor Ort über eine mobile Bodenstation. In der Einsatzzentrale befindet sich die mobile Bodenstation, und »durch einfaches Anklicken auf dem Display lassen sich die Sensoren an die passenden Stellen schicken«, erklärt Projektleiter Dr. Axel Bürkle. »Von dort senden sie in Echtzeit Bilder oder Messwerte und erlauben eine bessere Beurteilung der Lage, auch in unzugänglichem Gebiet.«

Wenn die akute Gefahr vorüber ist, sind Informationen über die Schäden unerlässlich. Unbemannte Mini-U-Boote können beispielsweise Staumauern oder Hafenanlagen inspizieren. Das Fraunhofer-Anwendungszentrum für Systemtechnik AST in Ilmenau koordiniert die Arbeiten mehrerer Fraunhofer-Institute zur Entwicklung autonomer Unterwasserfahrzeuge, die bis in eine Wassertiefe von 6000 Metern vordringen können und dort Pipelines, transatlantische Telefonleitungen, Bohrlöcher oder Offshore-Windkraftanlagen inspizieren.

Nichts wie weg!

Den Weg aus der Katastrophe weist eine Entwicklung des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS: die awiloc-Lokalisierungstechnologie. Mit einem Smartphone lässt sich der eigene Standort in Städten und Gebäuden ermitteln. Basis dafür ist die gemessene Sendeleistung von WLAN-Sendern, die es heute schon zahlreich in Innenstädten gibt. An jeder Stelle der Stadt kann man Signale von mehreren Sendern empfangen, je näher, desto stärker. Daraus ergibt sich ein charakteristisches Muster, mit dem sich auf dem mobilen Endgerät die Position bestimmen lässt. Im BMBF-geförderten Projekt »Regionale Evakuierung – Planung, Kontrolle und Anpassung«, kurz REPKA, helfen reale Bewegungsdaten, die während einer Evakuierungsübungen erhoben wurden, regionale Evakuierungspläne zu verbessern. Im Krisenfall lässt sich awiloc auch als Teil eines Leitsystems verwenden, um einen Weg auf sicheres Terrain zu finden. »Wir kombinieren verschiedene Ortungssysteme und erhalten so eine weitaus höhere Genauigkeit als mit Einzelsystemen«, sagt Steffen Meyer vom IIS. Das funktioniert innerhalb und außerhalb von Gebäuden und auch noch wenn Mobilfunknetze ausfallen.

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Sibylle Wirth Fraunhofer Gesellschaft

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