Würfel aus dem „Atomkeller“

Uran-Würfel (c) Willey-VCH

In den 1940er Jahren wurden in Deutschland Projekte angestoßen, die Kernspaltung von Uran technisch zu verwerten. Historische Uran-Proben aus Deutschland wurden jetzt von einem internationalen Team forensisch untersucht. Wie die Forscher in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichten, konnten sie die Echtheit der Proben untermauern und bestätigen, dass in den damaligen Experimenten keine selbsterhaltende nukleare Kettenreaktion erreicht wurde.

Treffen Neutronen auf Uran-235-Kerne, nehmen diese ein Neutron auf, es entsteht instabiles Uran-236, das in zwei Bruchstücke zerfällt, die mit hoher Geschwindigkeit auseinanderfliegen. Bei der Spaltung entstehen außerdem zwei bis drei neue Neutronen, sodass eine Kettenreaktion in Gang kommen kann.

Wichtig ist, dass die Neutronen effektiv abgebremst werden, denn schnelle Neutronen können von Uran-Kernen schlecht „eingefangen“ werden. In einem Kernkraftwerk muss die Kettenreaktion exakt geregelt sein, so dass aus jeder Kernspaltung nur ein einziges Neutron für einen weiteren Spaltvorgang zur Verfügung steht, also eine gleichmäßige Energiefreisetzung erfolgt.

Die erste selbsterhaltende Kettenreaktion gelang Enrico Fermi 1942 in Chicago. „Ob die damals auch in Deutschland anlaufenden Nuklearprojekte eine militärische Bedeutung hatten oder eher auf die Entwicklung eines Atomreaktors für die Energiegewinnung abzielten – oder beides – ist ein viel diskutiertes Thema“, so Maria Wallenius vom Institut für Transurane (ITU) in Karlsruhe, das zum Joint Research Centre, dem wissenschaftlichen Dienst der Europäischen Kommission gehört.

Werner Heisenberg forschte am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin mit Uran in Plattenform, während Kurt Diebner beim Heereswaffenamt Uran-Würfel verwendete. Später erkannte Heisenberg die Überlegenheit des Würfeldesigns. Das letzte Experiment, B8, fand im März 1945 statt, nachdem ein Teil des Kaiser-Wilhelm-Instituts nach Haigerloch umgezogen war.

Als Brennstoff dienten 1,5 Tonnen Natururan in Form von 664 „Heisenberg-Würfeln“. Wallenius erläutert den historischen Zusammenhang: „Durch Neutronenbeschuss sollte eine selbsterhaltende nukleare Kettenreaktion ausgelöst werden, die aber nicht erreicht werden konnte, da der Reaktor, neben anderen Defiziten, zu klein war.“

In einer nuklear-forensischen Studie untersuchte das Team aus Wissenschaftlern vom ITU, der Universität Mainz, der Australian National University (Canberra) sowie der Universität Wien jetzt drei historische Uranproben: eine pulverförmige Probe von einem Heisenberg-Würfel, die das Bundesamt für Strahlenschutz zur Verfügung gestellt hatte, ein kleines Stück Metall von einem Heisenberg-Würfel aus dem Atomkeller-Museum in Haigerloch, mehrere kleine Stückchen von der sogenannten Wirtz-Platte, die früheren Experimenten der Gruppe um Heisenberg und Karl Wirtz zugeschrieben wird, sowie einige Uran-Rohmaterialien.

Das Team ermittelte Mengenverhältnisse verschiedener Isotope, etwa von Uran-234 zu Thorium-230, seinem natürlichen Zerfallsprodukt, um zu bestimmen, wann das Material produziert wurde. Wallenius: „Nach unseren Ergebnissen fand dies im Zeitraum von 1940 bei der Wirtz-Platte und 1943/44 bei den Würfeln statt. Dies ist auch ein eindeutiger Beleg für die Echtheit der Proben als Heisenberg-Würfel bzw. als eine Wirtz-Platte.“

Die geographische Herkunft konnten die Forscher anhand des Gehalts an Seltene-Erden-Elementen sowie der Verhältnisse von Strontium-87 zu Strontium-86 ermitteln, Werte, die für die unterschiedlichen Typen von Uranerz-Lagerstätten charakteristisch sind. „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass das für die Würfel und die Platte verwendete Uran aus einer Mine in Joachimsthal (Tschechien) kam“, so Wallenius.

In den Proben fanden sich Spuren von Uran-236 und Plutonium-239 in einer Menge, die deren natürlichen Vorkommen entspricht. „Das bedeutet, dass die Uranproben keiner größeren Neutronenbestrahlung ausgesetzt wurden“, so Wallenius. „Diese experimentellen Ergebnisse sind im Einklang mit den Berichten, dass die deutschen Versuche damals keine selbsterhaltende nukleare Kettenreaktion erreichen konnten.“

Über den Autor

Dr. Maria Wallenius begann ihre Laufbahn als Radiochemikerin an der Universitä von Helsinki, bei einem Projekt zur nuklearen Sicherheitsüberwachung. 1996 wechselte sie an das Institut für Transurane (ITU) in Karlsruhe, wo sie auf dem Gebiet der nuklearen Forensik an charakteristischen Parametern für die Herkunftsbestimmung von Plutonium durch Massenspektrometrie arbeitete. Seit ihrer Promotion 2001 war sie an verschiedenen Forschungs- und Trainingsaktivitäten im Bereich der nuklearen Forensik und Sicherheit beteiligt. Daneben ist sie die Koordinatorin der nuklearen forensischen Analytik am ITU.

Autor: Maria Wallenius, European Commission – Joint Research Centre (Germany), mailto:Maria-S.Wallenius@ec.europa.eu

Angewandte Chemie: Presseinfo 37/2015

Autor: Maria Wallenius, European Commission – Joint Research Centre (Germany), mailto:Maria-S.Wallenius@ec.europa.eu

Permalink to the original article: http://dx.doi.org/10.1002/ange.201504874

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