Wie Pflanzen das Muster für ein neues Blatt anlegen

Schaumkresse (Arabidopsis). Foto: Gunther Willinger/Universität Tübingen

Wenn sich ein vielzelliges Lebewesen entwickelt, muss jede Zelle ihre Position im wachsenden Organismus im Verhältnis zu den anderen kennen. Die Zellen müssen also ständig miteinander kommunizieren. Sie spezialisieren sich in unterschiedlicher Weise, so bildet sich ein Muster, aus dem Form oder Gestalt von Geweben und Organen hervorgehen.

Bei Tieren ist schon viel über die beweglichen Signale und Mechanismen bekannt, die diese Musterbildung steuern. Bei Pflanzen ist das anders, denn die vielzelligen Pflanzen haben sich in der Evolution unabhängig von den vielzelligen Tieren entwickelt. Professorin Marja Timmermans vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität Tübingen hat gemeinsam mit Kollegen vom Cold Spring Harbor Laboratory in New York entdeckt, dass die Zellkommunikation bei der Musterbildung von Pflanzen auch über einen bisher unbekannten Mechanismus läuft.

Dabei bilden sogenannte kleine RNAs wichtige bewegliche Signale und Steuer¬elemente. Kleine RNAs waren in der Pflanzenforschung bisher vor allem durch ihre Rolle bei Abwehrmechanismen gegen Fressfeinde oder Krankheitserreger bekannt. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Developmental Cell veröffentlicht.

„In Tübingen hat die Forschung über Musterbildung bei Vielzellern eine lange Tradition“, hebt Marja Timmermans hervor. „In den frühen 1970er Jahren erforschten die Professoren Hans Meinhardt und Alfred Gierer, am damaligen Max-Planck-Institut für Virusforschung grundlegende Prinzipien zur Musterbildung in Zellpopulationen. Professorin Christiane Nüsslein-Volhard, Direktorin am Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, erhielt 1995 den Nobelpreis für ihre Arbeiten zur genetischen Kontrolle der Musterbildung im Ei der Fruchtfliege Drosophila.

Bei tierischen Vielzellern läuft die Zellkommunikation und Musterbildung vielfach über bewegliche Signalstoffe, die ein Konzentrationsgefälle bilden. Je nach Konzentration, häufig abhängig von einem Schwellenwert, spezialisieren sich die Zellen für unterschiedliche Aufgaben. Diesen Mechanismus, so konnte nun gezeigt werden, gibt es auch bei Pflanzen, allerdings sind dort andere Signalstoffe im Einsatz.

Anders als bei Tieren können die Zellen einer Pflanze über Plasmabrücken verbunden sein, über die sich Regulationsfaktoren durch das ganze System bewegen und so zur Bildung von Mustern beitragen. Marja Timmermans und ihre Kollegen sind Hinweisen nachgegangen, dass außerdem kleine RNAs an der Musterbildung beteiligt sein könnten.

Kleine RNAs sind kurze Ketten, die passgenaue Gegenstücke zu bestimmten Regulierungsbereichen der Erbinformation in der DNA oder RNA bilden. Sie können sich anlagern und so die Ablesung jeweils bestimmter Gene verhindern. Die kleinen RNAs ermöglichen eine sehr feine Regulierung der Proteinproduktion und somit auch der Entwicklungsvorgänge in den Zellen.

Leistungsfähiger Mechanismus zur Weitergabe von Positionsinformationen

An einer Modellpflanze der Genetik, der Schaumkresse mit dem lateinischen Namen Arabidopsis, hat das Forscherteam untersucht, welche Rolle die kleinen RNAs bei der Anlage und Entwicklung eines neuen Blatts haben. Dabei veränderten die Forscher unter anderem durch künstliche kleine RNAs die Konzentration dieser Steuerungselemente und beobachteten, wie die Zellen des wachsenden Blatts reagierten.

„Überraschend war, dass die kleinen RNAs ein stabiles Entwicklungsmuster hervorbringen können“, sagt Marja Timmermans. Ähnlich wie die beweglichen Signalstoffe bei Tieren bilden die kleinen RNAs ein Konzentrationsgefälle aus. „Anders als klassische Entwicklungssignale arbeiten die kleinen RNAs mit hoher Spezifizität, und sie können direkt in die Genaktivität eingreifen“, sagt die Wissenschaftlerin.

Die kleinen RNAs könnten daher auch ohne Rückkoppelungsschleifen die Aktivität bestimmter Gene ortsabhängig mit scharfen Grenzen regeln. „Bewegliche kleine RNAs bieten einen leistungsfähigen und direkten Mechanismus zur Weitergabe von Positionsinformationen. Sie können präzise Entwicklungsmuster ausbilden“, sagt die Wissenschaftlerin zusammenfassend.

Publikation:
Damianos S. Skopelitis, Anna H. Benkovics, Aman Husbands, and Marja C. P. Timmermans: Boundary Formation Through a Direct Threshold-Based Readout of Mobile Small RNA Gradients. Developmental Cell, Online-Vorabveröffentlichung am 26. Oktober 2017.

Kontakt:
Prof. Dr. Marja Timmermans
Alexander von Humboldt-Professur
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP)
Telefon +49 7071 29-78099
marja.timmermans[at]zmbp.uni-tuebingen.de

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Antje Karbe idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

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