Wie ein Molekül das Klima verändern kann

Laut dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist der Anstieg der Aerosole und Wolken seit vorindustrieller Zeit eine der größten Unsicherheiten bei der Vorhersage des Klimawandels.

Die Tröpfchen, aus denen sich Wolken zusammensetzen, bilden sich um Aerosolpartikel, die entweder direkt emittiert werden oder durch Keimbildung in der Atmosphäre entstehen. Dabei verbinden sich Gasmoleküle zu neuen Partikeln, die wachsen und zu Kondensationskeimen werden können. Wasseraggregate spielen in den frühen Phasen der Keimbildung eine Schlüsselrolle.

Die Wissenschaftler aus Frankreich, Japan und Österreich – unter ihnen Tilmann Märk, der auch als Rektor der Universität Innsbruck regelmäßig zu Forschungsaufenthalten an der Universität Lyon weilt – zeigen nun in einem Experiment mit einer neuentwickelten Apparatur in der dortigen Arbeitsgruppe um Michel Farizon am Institut de Physique des 2 Infinis de Lyon, dass die Verdampfung von einzelnen Wassermolekülen von der Oberfläche solcher Kondensationskeime in Gegenwart eines Pyridinium-Ions langsamer verläuft.

Eine solche hydrophobe Verunreinigung wie Pyridinium erleichtert daher das Wachstum von Wasseraggregaten und damit Keimbildungsprozesse in den frühen Phasen der atmosphärischen Aerosol- und Wolkenbildung. Dieses unerwartete Ergebnis wird in dieser Woche in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.

Bisher unbekannte Rolle eines Luftschadstoffs

Die Forscher haben im Labor einzelne Nanotropfen aus Wasser mit einem Pyridinium-Ion dotiert, diese Nanotropfen durch Stöße energetisch angeregt und die Geschwindigkeit von einzelnen verdampfenden Wassermolekülen gemessen. Die dadurch aus vielen Einzelmessungen erhaltene Geschwindigkeitsverteilung der verdampfenden Wassermoleküle gibt einen Hinweis auf die Thermalisierung der eingebrachten Energie innerhalb des Nanotropfens, jenen Prozess, über den ein System in ein thermisches Gleichgewicht gelangt.

Die Interpretation der Ergebnisse basiert auf statistischen Berechnungen, die in Lyon und Grenoble durchgeführt wurden. „Das Vorhandensein eines Pyridinium-Ions in einem Wasseraggregat verändert demnach dessen thermodynamische Eigenschaften radikal“, erklärt Tilmann Märk die Resultate. „Als Konsequenz nimmt das Wachstum der dotierten Wasseraggregate im Vergleich zu reinen Wasseraggregaten zu.“

Pyridin gelangt durch menschliche Aktivitäten in der Erdatmosphäre. Es entsteht bei der Verbrennung von Biomasse, durch Autoabgase, Teer und Tabakrauch. Seine Lebensdauer in der Atmosphäre wird auf 23 bis 46 Tage geschätzt. „Die Anwesenheit von Pyridin fördert somit die Entstehung von Wassernanotropfen, erleichtert und stabilisiert deren Bildung“, fasst Tilmann Märk zusammen.

„Pyridin ist in den allerersten Phasen der Bildung von Nanotropfen beteiligt. Wenn der Wassertropfen wächst, wird das Pyridin eventuell wieder freigesetzt. Dann kann das Molekül erneut eingreifen, um einen nächsten Tropfen zu bilden. Pyridin wirkt hier also wie ein Katalysator, und da es nicht in den Aerosolen verbleibt, war seine Rolle bisher unentdeckt geblieben.“

Mit der extrem genauen Beobachtung und Vermessung der Genese sehr kleiner Wassertropfen im Nanometerbereich haben die Forscher also Wissen generiert, mit dem Veränderungen auf globaler Ebene erklärt werden können. So wollen sie dazu beitragen, unser Verständnis von den Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf Wolken und damit auf das Klima zu erweitern.

Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Tilmann Märk
Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik
Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 507 2000
E-Mail: rektor@uibk.ac.at

Impact of a hydrophobic ion on the early stage of atmospheric aerosol formation. Linda Feketeová, Paul Bertier, Thibaud Salbaing, Toshiyuki Azuma, Florent Calvo, Bernadette Farizon, Michel Farizon, and Tilmann D. Märk. Proc. Natl. Acad. Sci. 2019
DOI: 10.1073/pnas.1911136116 (https://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1911136116)

http://cloud.web.cern.ch/content/physics – Video zur Rolle von Aerosolen bei der Wolkenbildung

Media Contact

Dr. Christian Flatz Universität Innsbruck

Weitere Informationen:

http://www.uibk.ac.at

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