Wie das Gehirn den Schlaf steuert

EEG-Aufzeichnungen des Gehirns einer Maus während des Aufwachens aus der Narkose. Departement Klinische Forschung, Universität Bern.

Von chronischen Schlafstörungen sind etwa 10 bis 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung betroffen – und die meisten von uns haben mindestens einmal im Leben Mühe mit dem Ein- oder Durchschlafen. Neben der Quantität des Schlafes, die vor allem bei Schlaflosigkeit leidet, haben klinische und experimentelle Studien gezeigt, dass die Qualität des Schlafes – das heisst, seine Tiefe – ebenso wichtig ist für eine gute Nachtruhe und komplette Erholung von Körper- und Geistesfunktionen.

«Schlafstörungen haben viel weitreichendere Auswirkungen auf unsere Lebensqualität als Schläfrigkeit am Tag und Stimmungsschwankungen», sagt Prof. Antoine Adamantidis vom Departement Klinische Forschung der Universität Bern und von der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital Bern.

So sind Kognitive Beeinträchtigungen, ein hormonelles Ungleichgewicht und eine hohe Anfälligkeit für Herz-Kreislauf- und Stoffwechselstörungen einige der negativen Folgen, die häufig mit chronischen Schlafstörungen in Verbindung gebracht werden. Der Mangel an genügend und genügend gutem Schlaf gilt mittlerweile als ein frühes Anzeichen von zahlreichen neurologischen Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson und Schizophrenie. Medikamentöse Behandlungen kombiniert mit einem bewussteren Lebensstil haben laut Studien nur eine begrenzte Wirkung. «Es fehlt an personalisierter Medizin, um entweder die ungenügende Menge oder unzureichende
Qualität des Schlafes zu behandeln», so Adamantidis.

Die experimentelle Schlafforschung befasse sich deshalb intensiv mit den noch mehrheitlich unbekannten Mechanismen im Gehirn, die den Schlaf-Wach-Zyklus und unser Bewusstsein steuern. Zusammen mit Carolina Gutierrez Herrera vom Departement für Klinische Forschung und der Universitätsklinik für Neurologie sowie Forschenden in Deutschland und den USA hat nun Adamantidis eine zweifache Entdeckung gemacht: Sein Team identifizierte einen neuen Schaltkreis im Gehirn von Mäusen, dessen Aktivierung ein rasches Aufwachen bewirkt, während seine Blockierung den Schlaf vertieft. Die Ergebnisse der Studie wurden im Journal «Nature Neuroscience» veröffentlicht.

Aufwachen lässt sich «anschalten»

Der Schlaf von Säugetieren und Menschen wird in zwei Phasen unterteilt: NREM (Non-rapid eye movement)-Schlaf oder «leichter Schlaf», und REM- oder «tiefer, träumender Schlaf». Die Hauptschaltkreise im Gehirn für diese beiden Zustände sind bereits bekannt. Wie sie aber genau funktionieren – insbesondere wie sie den Schlaf sowie das Träumen auslösen, aufrecht erhalten und wieder anhalten – sind noch weitgehend unbekannt.

Adamantidis und Gutierrez Herrera haben nun einen neuen neuronalen Schaltkreis zwischen zwei Hirnregionen des Zwischenhirns – dem Hypothalamus und dem Thalamus – entdeckt. Wird dieser Schaltkreis aktiviert, unterbricht er den leichten Schlaf. Mittels einer neuen Technologie, der sogenannten Optogenetik, kontrollierten die Forschenden Nervenzellen im Hypothalamus mit ultrakurzen Lichtpulsen im Millisekunden-Bereich und konnten zeigen, dass deren vorübergehende Aktivierung zu einem raschen Aufwachen aus dem leichten Schlaf führt.

Ebenso führt die chronische Aktivierung zu einer längeren Wachphase. Blockierten die Forschenden hingegen diesen Schaltkreis, wurde der leichte Schlaf tiefer. «Analog dazu vermuten wir, dass eine Hyperaktivität dieses Schaltkreises zu Schlaflosigkeit führt, während dessen Unterbrechung verantwortlich sein könnte für Schlafsucht», sagt Adamantidis. Damit ist dieser Schaltkreis von Nervenzellen ein potenzielles Ziel für pharmazeutische Therapien gegen Schlafstörungen.

Gleiche Wirkung auch bei Narkose und Bewusstlosigkeit

Interessant für die Forschenden war die «Weck-Kraft» des Schaltkreises: Sie ist so stark, dass bei einer Aktivierung sogar das Aufwachen aus einer Narkose und das Wiedererlangen des Bewusstseins ausgelöst werden. «Eine spannende Entdeckung, denn es gibt kaum therapeutische Ansätze, um aus einem bewusstlosen Zustand aufzuwachen», sagt Adamantidis. So wurde bisher eine nicht-selektive elektrische Stimulierung des Gehirns mit einigem Erfolg eingesetzt, aber der zugrundeliegende Mechanismus war auch hier unklar. Mit ihrer Studie konnte nun das Team um Adamantidis und Gutierrez Herrera den Grundstein für einen selektiveren Therapieansatz legen.

Die zweifachen Erkenntnisse der Forschenden werfen ein neues Licht auf den Aufwach-Mechanismus im Gehirn, eröffnen neue Möglichkeiten für eine spezifische medikamentöse Behandlung von Schlafstörungen und zeigen eine neue mögliche Methode, um Patienten aus einem bewusstlosen Zustand wieder aufzuwecken. Dennoch betont Adamantidis: «Obwohl wir einen wichtigen Schritt vorwärts gemacht haben, wird es einige Zeit dauern, bis aus unseren Erkenntnissen neue Therapien entwickelt werden.»

Angaben zur Publikation:
Carolina Gutierrez Herrera, Marta Carus Cadavieco, Sonia Jego, Alexey Ponomarenko, Tatiana Korotkova and Antoine Adamantidis. Hypothalamic feed-forward inhibition of thalamocortical network controls arousal and consciousness. Nature Neuroscience 2015 (In Press)

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Nathalie Matter Universität Bern

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