Wie Daptomycin multiresistente Bakterien tötet

Daptomycin-Moleküle (blau) schieben sich mit dem Schwanz voran zwischen die Membran-Lipide (grau bzw. rot). In der Folge löst sich ein wichtiges Enzym (grün) von der Innenseite der Membran. © Grafik: AG Tanja Schneider/Uni Bonn

Daptomycin ist ein so genanntes Reserve- oder Notfall-Antibiotikum: Es gilt oft als letzte Rettung gegen multiresistente Bakterien wie zum Beispiel MRSA-Keime. Seit mehr als zehn Jahren ist die Substanz in Deutschland inzwischen zugelassen. Zu der Art und Weise, wie sie Bakterien tötet, gab es aber bislang verschiedene Hypothesen. „Es ist absolut ungewöhnlich“, betont Prof. Dr. Tanja Schneider vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn: „Bei allen anderen zugelassenen Antibiotika kennen wir den Wirkmechanismus; bei Daptomycin tappen wir dagegen selbst nach Jahrzehnten intensiver Forschung noch weitgehend im Dunkeln.“

In dieses Dunkel bringen die Wissenschaftler mit ihrer Studie nun etwas Licht. Demnach hemmt Daptomycin mit einem trickreichen Mechanismus die Zellwand-Synthese der gefährlichen Erreger. An der Arbeit waren neben den Universitäten Bonn und Amsterdam auch die Ruhr-Universität Bochum, die Universität Newcastle und das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) beteiligt.

Bakterien sind von einer Membran umgeben, die der Haut einer Seifenblase ähnelt. In ihr sind zahlreiche Proteine eingebettet, die wichtige Aufgaben in der Zelle übernehmen. An die Membran schließt sich nach außen die feste Zellwand an.

Die Membran selbst ist dagegen relativ flexibel. Sie besteht aus Lipiden, einer Substanzgruppe, zu der auch Fette zählen. In Membranen gibt es verschiedene Lipid-Typen. Einige von ihnen haben eine chemische Struktur, die sie sehr beweglich macht – wie leichtflüssiges Öl. Andere sind dagegen zäh wie erkaltetes Fett. In der Bakterienmembran wechseln sich flüssigere mit festeren Bereichen ab. Die Anordnung dieser Bereiche ändert sich ständig – die Membran ist also ein sehr dynamisches System.

Magnet in der Zellmembran

Daptomycin bringt diesen Aufbau nun gründlich durcheinander. Das Antibiotikum ähnelt einer Kaulquappe mit einem dicken Kopf und einem kurzen Schwanz. Dieser Schwanz taucht in die Außenseite der Bakterienmembran ein. Dazu muss sich der Kopf Platz verschaffen und die Lipide etwas zur Seite schieben. „Das funktioniert augenscheinlich nur an bestimmten Stellen, an denen die Membran ausreichend fluide ist“, erklärt Prof. Schneider.

Daptomycin-Moleküle haben zudem unter bestimmten Bedingungen die Tendenz, sich aneinanderzulagern. Diese Aggregate benötigen besonders große flüssige Membranbereiche. Zu diesem Zweck ziehen sie – ähnlich wie ein Magnet – weitere leicht bewegliche Lipide an sich heran. Dadurch kommt es zu gravierenden Störungen der Membranstruktur. Proteine, die normalerweise an der Innenseite des Lipid-Häutchens befestigt sind, können sich lösen und ihre Funktion verlieren. „Darunter sind auch Enzyme, die den Aufbau der Bakterien-Zellwand katalysieren“, erklären Schneiders Mitarbeiter Dr. Anna Müller und Dr. Fabian Grein. „Ohne diese Schutzhülle gehen die Erreger zugrunde.“

Neben dem nun gefundenen Mechanismus vermuten die Wissenschaftler noch weitere, die zur antibakteriellen Wirkung von Daptomycin beitragen. Diese aufzuklären, ist Thema aktueller Forschungsarbeiten. Den genauen Wirkungsmechanismus eines Antibiotikums im Detail zu verstehen, sei enorm wichtig. „So können wir beispielsweise besser abschätzen, mit welchen anderen Antibiotika sich der Wirkstoff sinnvoll kombinieren lässt oder wie groß das Risiko einer Resistenzbildung ist“, betont Tanja Schneider.

Momentan wird Daptomycin nur in Fällen eingesetzt, in denen andere Antibiotika versagen – die Mediziner wollen nicht riskieren, dass MRSA-Keime durch unbedachte Nutzung gegen den Wirkstoff unempfindlich werden. Diese Gefahr besteht durchaus: Schon jetzt gibt es Bakterienstämme, die selbst gegen diese schlagkräftige Waffe resistent sind.

Publikation: Anna Müller, Michaela Wenzel, Henrik Strahl, Fabian Grein, Terrens N. V. Saaki, Bastian Kohl, Tjalling Siersma, Julia E. Bandow, Hans-Georg Sahl, Tanja Schneider, Leendert W. Hamoen: Daptomycin inhibits cell envelope synthesis by interfering with fluid membrane microdomains; PNAS; DOI: 10.1073/pnas.1611173113

Kontakt für die Medien:

Prof. Dr. Tanja Schneider
Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)
Tel. 0228/735688 oder 735266
E-Mail: tschneider@uni-bonn.de

Media Contact

Johannes Seiler idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

http://www.uni-bonn.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Batteriematerial für die Natrium-Ionen-Revolution

Leistungsstark, sicher und umweltfreundlich – Natrium-Ionen-Batterien haben viele Vorteile gegenüber herkömmlichen Batterien. Da sie keine kritischen Rohstoffe wie Lithium oder Kobalt enthalten, könnten sie zudem Anwendungen wie stationäre Energiespeicher und…

Partner & Förderer