Wende in der immunologischen Grundlagenforschung

Fehlfunktionen und Überreaktionen unseres Immunsystems schaffen für immer mehr Menschen gravierende Probleme. Dr. Jianying Yang und Prof. Dr. Michael Reth, zwei Forscher des BIOSS, Centre for Biological Signalling Studies, Exzellenzcluster der Universität Freiburg und des Max-Planck-Institutes für Immunbiologie, haben ein bisher ungelöstes Problem zur Aktivierung unseres Immunsystems geklärt. Mit Methoden der Synthetischen Biologie wiesen sie den Mechanismus nach, durch den unser Immunsystem von tausenden körperfremden Stoffen aktiviert werden kann.

Vor nunmehr 110 Jahren, um 1900, hielt Paul Ehrlich, einer der Väter der modernen Immunologie, seine legendäre Croonian Lecture vor der Royal Society in London. In seinem Vortrag „On Immunity with Special Reference to Cell Life” widersprach Ehrlich der damals gängigen Annahme, die menschliche Immunität gegen bakterielle Giftstoffe beruhe allein auf einer Veränderung des Blutserums. Ehrlich stellte dann das erste tragfähige Konzept der Immunaktivierung vor, indem er Strukturen auf der Oberfläche von Zellen vermutete, die wie Schlüssel und Schloss funktionieren und so die Zellen bei Kontakt mit Toxinen alarmieren. In der Biologie nennt man dies Liganden-Rezeptor Interaktion. Als erkannt wurde, unser Immunsystem reagiert nicht nur auf Toxine, sondern auf unzählige köperfremde Strukturen geriet Ehrlichs Modell einer rezeptorgesteuerten Immunreaktion in Misskredit.

Mittlerweile ist jedoch erwiesen, dass unsere Immunzellen tatsächlich über Rezeptoren aktiviert werden. Die meisten Rezeptoren auf der Zelloberfläche, beispielsweise Hormonrezeptoren, binden nur ein bestimmtes Ligandenmolekül, so wie zu jedem Schloss nur ein richtiger Schlüssel passt. Wenn Millionen von Schlüsseln ein Schloss aufschließen können, stellt sich die Frage, wie funktioniert dieses Schloss und wie werden wir vor einer anhaltenden Hyperaktivität unserer Immunabwehr geschützt?

Alle Stoffe, auch Viren oder bakterielle Moleküle, die eine Immunantwort hervorrufen, werden von den Immunologen einheitlich als Antigene bezeichnet. B-Lymphozyten, kurz B-Zellen, haben bis zu 120.000 B-Zellantigenrezeptoren (BZR) auf ihrer Oberfläche, über die sie zur Bildung von Antikörpern angeregt werden. Das Problem, wie die BZR auf unseren Immunzellen von so vielen verschiedenen Stoffen aktiviert werden können, blieb bisher ungelöst.

Jianying Yang und Michael Reth haben jetzt eine Antwort gefunden, die das Problem der Aktivierung unseres Immunsystems erklärt. Mit Methoden der Synthetischen Biologie bauten sie den Antigenrezeptor von Mäusen in einer Fruchtfliegenzelle nach. Anders als die bisherige Forschung interessierte sie der BZR auf ruhenden B-Zellen, also den noch nicht aktivierten Zellen. Sie kamen zu überraschenden Ergebnissen. Der BZR auf ruhenden B-Zellen bildet enge multimere Strukturen, das heißt er besteht aus mehreren unterschiedlichen Untereinheiten und diese verhindern die Signalaktivierung, um uns vor einer Immunantwort zu schützen. Der Kontakt der Zelle mit dem Antigen führt zur Dissoziation der BZR-Multimere und dies erst zur Signalgebung. Der Dissoziierungsprozess ist weitgehend unabhängig von Stukturvorgaben des Antigens und erklärt, warum der BZR von tausenden unterschiedlichen Liganden aktiviert werden kann.

Das neue Modell der Aktivierung des Antigenrezeptors ist der anerkannten Lehrmeinung diametral entgegengesetzt. „Unser neues Modell beruht auf der Auflösung und nicht auf der Bildung einer bestimmten BZR-Struktur und dies kann durch verschiedenste antigene Moleküle bewerkstelligt werden“, erklärt Michael Reth. Die Entdeckung einer geordneten multimeren Struktur des BZR lässt darauf schließen, dass auf ruhenden B-Zellen die Aktivierung des Rezeptors hoch reguliert ist. Viele menschliche Erkrankungen wie das alarmierend wachsende Problem der Autoimmunität oder die Bildung von B-Zell-Tumoren wie Leukämie oder Lymphdrüsenkrebs werden durch eine Hyperaktivität des BZR in unserem Immunsystem hervorgerufen.

Die für das Verständnis unserer Immunreaktion fundamentale Forschung an der Regulierung des BZR auf ruhenden B-Zellen hat gerade erst begonnen. Für unseren Zugang zu einer geregelten, gesunden Immunabwehr werden die neuen Ergebnisse wichtig sein. Inwieweit sich dies auch auf die Entwicklung neuer Impfstrategien oder neuer Behandlungsmethoden gegen B-Zell-Tumore auswirken wird, ist noch kaum überschaubar.

Gieseking-Anz

Veröffentlichung in Nature: “Oligomeric organization of the B cell antigen receptor on resting cells”, Jianying Yang and Michael Reth, Nature advance online publication 5 September 2010Nature DOI: 10.1038/nature09357

Link: http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature09357.html

Weitere Infos zum Thema, ein historischer Rückblick zur Entwicklung der Immunologie und ein aktueller Beitrag von Michael Reth zur Synthetischen Biologie in Forschung & Lehre unter www:bioss.uni-freiburg.de

BIOSS, das Centre for Biological Signalling Studies der Universität Freiburg, wird als Exzellenzcluster von der DFG finanziert. Das Erforschen von biologischen Signalprozessen in und zwischen Zellen vereint Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben Fakultäten, dem MPI für Immunbiologie und dem Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik in Freiburg. Michael Reth ist Sprecher des Clusters, das die modernen analytischen Biowissenschaften mit neuen Strategien der Synthetischen Biologie kombiniert, gemäß der BIOSS-Strategie: Von der Analyse zur Synthese.

Michael Reths Arbeitsgruppe ist Teil des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie in Freiburg.

Kontakt:
Prof. Dr. Michael Reth
BIOSS Centre for Biological Signalling Studies
Exzellenzcluster
Fakultät für Biologie
Universität Freiburg
Max-Planck-Institut für ImmunbiologieFreiburg
Tel.: 0761/ 5108 420
Fax: 0761/ 5108 423
E-Mail: michael.reth@bioss.uni-freiburg.de
www.bioss.uni-freiburg.de
BIOSS Centre for Biological Signalling Studies
Tel.: 0761/ 203 97374
E-Mail:gieseking.christiane@bioss.uni-freiburg.de

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