Weggehen oder dableiben?

Diese beiden Weibchen müssen bei Silberrücken Coriander bleiben, bis ihre Kinder entwöhnt sind. Marie Manguette/WCS-Congo

Bei westlichen Flachlandgorillas besteht eine Gruppe aus mehreren Weibchen und nur einem erwachsenen Männchen, dem Silberrücken. Mit seiner beeindruckenden Körpergröße schützt er seine Gruppe vor Raubtieren und anderen erwachsenen Männchen. Weibchen verlassen sich auf diesen Schutz und sind nie allein unterwegs, können aber im Laufe ihres Lebens mehrmals die Gruppe wechseln.

„Weibliche Gorillas scheinen unterschiedliche Strategien in Bezug auf Fortpflanzung und Gruppentransfer zu verfolgen“, sagt Marie Manguette, Erstautorin der Studie. „Wir haben beobachtet, dass manche Weibchen nach jeder Nachwuchs-Entwöhnung und somit bis zu sechsmal in ihrem Leben in eine andere Gruppe wechseln, während andere 20 Jahre lang bei demselben Männchen bleiben und sich mit ihm fortpflanzen.“

Manguette und Kollegen konnten belegen, dass ein hoher Anteil des Nachwuchses eines Weibchens mit einem älteren Männchen, dessen aktive Zeit sich dem Ende neigt, nicht überlebt. „Wenn ein Silberrücken stirbt, schließen sich die Weibchen seiner Gruppe einem anderen Männchen an“, sagt Manguette.

„Stillt ein Weibchen dann noch dessen Nachwuchs, wird der neue Silberrücken diesen höchstwahrscheinlich töten, um sich sofort mit dem Weibchen paaren und seinen eigenen Nachwuchs zeugen zu können.“ Weibliche Flachlandgorillas können die Kindstötung verhindern, indem sie nach dem Abstillen das Kind beim Vater zurücklassen und in eine neue Gruppe wechseln.

Wenn Weibchen ihre Gruppe verlassen um sich einem anderen Männchen anzuschließen, verlängern sich die Intervalle zwischen den Geburten, und damit verringert sich auch die Anzahl der Geburten im Leben eines Weibchens. Diese Verzögerungen können erheblich sein: Weibchen, die im Laufe ihres Lebens viermal die Gruppe gewechselt haben, brauchen etwa zehn Jahre länger, um überlebenden Nachwuchs zu gebären, als andere Weibchen, die ihre Gruppe nicht wechseln.

„Gorillaweibchen, die in der Gruppe eines älteren Silberrückens sind, stehen also vor einem Dilemma: Sollen sie bleiben und sich weiterhin mit ihm fortpflanzen, auch wenn ihr Nachwuchs getötet werden könnte, sollte er sterben. Oder sollen sie die Gruppe verlassen, auch wenn es für sie dann zu erheblichen Verzögerungen bei der Fortpflanzung kommen könnte“, sagt Manguette.

Die aktuelle Studie zeigt, dass es für Weibchen am ungünstigsten ist, wenn sie ihren Nachwuchs verlieren. „Gorillaweibchen sollten ein Männchen verlassen, wenn es schwach ist und möglicherweise stirbt, bevor der Nachwuchs abgestillt ist“, sagt Manguette. Doch woher wissen Weibchen, wann sie die Gruppe verlassen sollten?

„Viele Weibchen verlassen ihr Männchen lange vor seinem Tod. Das lässt darauf schließen, dass sie einschätzen können, wenn ein Männchen schwächer wird, zum Beispiel, indem sie beobachten, wie es im Vergleich zu anderen Männchen in Auseinandersetzungen abschneidet“, ergänzt Manguette. „Noch ist unklar, ob Weibchen ein älteres Männchen wirklich verlassen, um sich einem jüngeren und stärkeren Männchen anzuschließen, aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es für sie möglicherweise von Vorteil wäre.“

Die Autoren betonen ferner die Bedeutung von Langzeitstudien für die Erforschung von Arten wie Gorillas, die sich langsam fortpflanzen. Die neuen Erkenntnisse über das Leben und Verhalten von Gorillas werden dringend benötigt, um die Bemühungen um den Schutz und Erhalt dieser bedrohten Tierart zu verbessern und voranzutreiben. „Wir müssen alles tun, um diese gefährdeten Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu schützen, bevor es zu spät ist“, so die Autoren.

„Unsere Auswertung eines Langzeitdatensatzes zu freilebenden Gorillas trägt zur Erforschung der Kosten und Nutzen des Soziallebens bei. Männchen und Weibchen gehen langfristige soziale Bindungen ein und können über einen langen Zeitraum hinweg miteinander zusammenleben. Unsere aktuelle Studie beleuchtet die Mechanismen, die den Gruppenstrukturen von Gorillas und der dynamischen Natur ihres sozialen Gefüges zugrunde liegen. Diese wiederum tragen auch zu unserem Verständnis menschlicher Sozialität bei”, sagt Martha Robbins, Senior-Autorin der Studie.

Im Rahmen ihrer Studie werteten die Forscher Daten zu 100 Gorillaweibchen und 229 Säuglingen aus 36 verschiedenen Gruppen aus, die über einen Zeitraum von 20 Jahren in Mbeli Bai gesammelt wurden, einer von der Wildlife Conservation Society und der Nouabale-Ndoki Foundation verwalteten Forschungsstätte im Norden der Republik Kongo.

Marie L. Manguette
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
+49 341 3550-232
marie_manguette@eva.mpg.de

Marie L. Manguette, Andrew M. Robbins, Thomas Breuer, Emma J. Stokes, Richard J. Parnell, Martha M. Robbins
Intersexual conflict influences female reproductive success in a female-dispersing primate
Behavioural Ecology and Sociobiology, 12 September 2019, https://doi.org/10.1007/s00265-019-2727-3

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Sandra Jacob Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Weitere Informationen:

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