Was Bakterien antreibt – VAAM-Forschungspreisträger Marc Erhardt entschlüsselt bakteriellen Motor

Salmonellen mit angefärbtem Fortbewegungsorganell: Jede Farbe markiert ein Wachstumsintervall von 30 Minuten. Diese Experimente erklären, wie Bakterien ihre Flagellen außerhalb der Zelle aufbauen. © Marc Erhardt - Die Nutzung des Bildmaterials ist auf die Berichterstattung in Zusammenhang mit dieser Pressemitteilung begrenzt. Bitte nennen Sie Urheber und Quelle.

Dank ihrer fädigen Zellanhänge können Bakterien sich zu Nahrungsquellen hin und von Schadstoffen weg bewegen. Wie mit einem Propeller navigieren sie damit als Reaktion auf bestimmte chemische Signale.

„Dieses komplexe Fortbewegungsorganell ist aus mehreren tausend einzelnen Untereinheiten aufgebaut, die sich sinnvoll zusammenfügen müssen“, beschreibt Erhardt seine Faszination für das Flagellum. Mit genetischen, biochemischen und mikroskopischen Methoden untersucht seine Arbeitsgruppe diesen Aufbau, die dafür notwendigen genetischen Grundlagen und den Export der Bausteine aus dem Zellinneren.

Flagellen spielt auch für Krankheitserreger eine Rolle: Mit ihrer Hilfe erreichen sie den Infektionsort, nehmen Kontakt mit dem Wirt auf und bilden stabile Biofilme. Erhardts Arbeitsgruppe untersucht den Modellorganismus Salmonella enterica, der lebensgefährliche Lebensmittelvergiftungen verursachen kann. Salmonellen bewegen sich mit Hilfe von Flagellen zu den Darmzellen und spritzen mit einer Art Injektionssystem Giftstoffe hinein.

Dieses Injektionssystem benutzt eine ähnliche Proteinpumpe für den Aufbau wie das Flagellum: das Typ-III-Sekretionssystem. Vor einigen Jahren zeigte Erhardts Arbeitsgruppe, welche Energiequelle dieses Sekretionssystem verwendet. In den letzten Jahren kamen Erkenntnisse hinzu, wie die Flagellen zusammengesetzt werden, die bis zu zehnmal länger als die Bakterienzelle sein können.

Den Anfang bildet ein Protein-Anker in der Membran, der anschließend wie eine Pumpe die weiteren Bausteine aus der Zelle schleust. Diese Flagellin-Bausteine sortieren sich zu einer langen Kette, dem Flagellum. Mit Fluoreszenz-Farbstoffen konnte die Arbeitsgruppe den Aufbau in Zeitabschnitten markieren.

„Die Flagellen wachsen mit der Zeit langsamer“, schließt Erhardt, „weil die Bausteine bis zum Ende einen immer längeren Weg zurücklegen müssen“. Diese Erkenntnisse sind besonders spannend, weil sie auch für die Injektionssysteme von Krankheitserregern gelten dürften, mit denen Bakterien Giftstoffe in Zellen befördern. Diese „Spritzen“ haben sich aus den Flagellensystemen entwickelt.

In aktuellen Arbeiten gelang es der Arbeitsgruppe, die Aufgaben zweier beteiligter Proteine zu charakterisieren: „FliP baut die Pore auf, und FliO ist der Organisator, der dafür sorgt, dass sich die Porenproteine korrekt aneinanderlagern“, erklärt Erhardt. Damit sind sie mögliche Ansatzpunkte für Medikamente: „Ein Wirkstoff, der die Porenbildung verhindert, wäre gleich ein doppelter Erfolg: Er würde Bakterien treffen, die Flagellen ausbilden, und auch solche, die molekulare Spritzen einsetzen“, skizziert der Preisträger seine Zukunftsvision.

Das internationale Auswahlkomitee der VAAM hebt Erhardts überragende Leistungen hervor, die sich in 29 Originalveröffentlichungen und hohen Fördermitteln widerspiegeln.

VAAM-Präsidentin Prof. Ruth Schmitz-Streit lobt sein innovatives Forschungskonzept und das Spektrum an geschickt gewählten, anspruchsvollen Methoden sowie seine erfolgreichen interdisziplinären und internationalen Kooperationen.

„Marc Erhardt ist ein herausragender molekularer Mikrobiologe mit fundiertem Wissen, überdurchschnittlicher Begabung, hoher Motivation, viel Organisationstalent und Wissensdurst, der sorgfältig arbeitet, kritisch diskutiert und sich intensiv in der Nachwuchsförderung engagiert“, begründet die VAAM ihre Wahl.

Prof. Dr. Marc Erhardt (36) leitet seit 2017 die Arbeitsgruppe Bakterienphysiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er studierte Biologie in Ulm und Konstanz, unterstützt von einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes.

Als Stipendiat des Boehringer Ingelheim Fonds forschte er für seine Promotion an der University of Utah, USA, im Labor von Prof. Kelly T. Hughes und promovierte 2011 an der Universität Konstanz bei Prof. Dr. Winfried Boos. Für seine Promotionsarbeiten erhielt er nationale und internationale Preise. Nach einem von einem Marie Curie International Incoming Fellowship unterstütztem Postdoktoranden-Aufenthalt an der Université de Fribourg, Schweiz, leitete er von 2013-2017 eine Helmholtz-Nachwuchsgruppe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.
Informationen: https://www.baktphys.hu-berlin.de

Die VAAM ist Gründungsmitglied im VBIO und vertritt über 3500 mikrobiologisch orientierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Forschung und Industrie. Die Bandbreite der Forschung reicht von Bakterien, Archaeen und Pilzen in allen Ökosystemen und in Lebensmitteln über Krankheitserreger bis hin zu Genomanalysen und industrieller Nutzung von Mikroorganismen, ihren Enzymen und Stoffwechselprodukten. Die diesjährige Jahrestagung mit über 1000 internationalen Wissenschaftler/innen findet vom 15. bis 18. April in Wolfsburg statt.

Informationen, Kontakte, Bildmaterial:
Dr. Anja Störiko |Tel. 06192 23605 | vaam@stoeriko.de

Dr. Katrin Muth | Geschäftsstelle der VAAM |
Mörfelder Landstraße 125 | 60598 Frankfurt am Main
Tel: 069 66056720 | https://www.vaam.de

Dr. Kerstin Elbing | Geschäftsstelle Berlin des VBIO | Luisenstraße 58/59 | 10117 Berlin | Tel: 030 27891916 | https://www.vbio.de

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