Aus vielen Mücken einen Atlas machen – Monitoring zeigt das Gefährdungspotential von Stechmücken

Die Stechmücke Ochlerotatus punctor ist als Überträger von Krankheitserregern wie dem West-Nil-Virus bekannt.<br><br>© Krüger<br>

Insekten stellen die größte und artenreichste Gruppe des Tierreichs dar. Es gibt farbenfrohe Schmetterlinge, prachtvolle Käfer, lästige Fliegen und natürlich blutsaugende Mücken – welche vor allem im Sommer eine Plage sind. Aber Mücke ist nicht gleich Mücke und die Folgen eines Stiches können ganz unterschiedlich sein.

Klimawandel, Globalisierung, Bevölkerungswachstum und Biodiversitätsverlust begünstigen die Ausbreitung von fremden Stechmückenarten in unseren Breiten – einhergehend können neue Epidemien und Infektionskrankheiten auftreten.

„Stechmücken werden von verschiedenen Krankheitserregern, zum Beispiel Viren oder Parasiten, als Transportmittel oder als Wirt – als so genannter Vektor – genutzt, um von einem Organismus zum anderen zu gelangen“, erklärt Prof. Dr. Sven Klimpel vom Biodiversität und Klima Forschungszentrum und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. „Mücken gelten weltweit als die wichtigsten Überträger vektor-assoziierter Infektionserreger.“ Die Krankheitserreger werden dabei von der Stechmücke mit der Blutmahlzeit aufgenommen und beim nächsten Stich über den Speichel weitergegeben.

Um zukünftige Risiken einschätzen zu können, erstellen BiK-F und Senckenberg gemeinsam mit dem Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg (BNI), und der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage e.V. (KABS) im Rahmen des von der Leibniz-Gemeinschaft geförderten Großprojektes „Vorkommen und Vektorkompetenz von Stechmücken als Überträger von Krankheitserregern in Deutschland“ eine Übersicht über Verbreitung, Vorkommen und Häufigkeit von Stechmücken in Deutschland. Eine Online-Datenbank ist das Herzstück des Forschungsprojektes: Sie enthält Informationen zu allen gesammelten Mücken und den Krankheitserregern, die in ihnen nachgewiesen wurden.

Auf der heute freigeschalteten Website werden unter anderem umfangreiche Informationen zur Bedeutung, Ökologie, Taxonomie, Vektorfunktion und den Fangmethoden von Stechmücken bereitgehalten. Eine interaktive Deutschlandkarte zeigt die Standorte, an denen Proben für das Projekt gesammelt werden. Außerdem zu finden sind Informationen über das von Dr. Christian Melaun und Antje Werblow betreute „Jugend forscht“-Projekt.

„Innerhalb der nächsten Jahre werden wir einen detaillierten Überblick über die Verteilung der rund 50 Stechmückenarten in Deutschland gewinnen und herausfinden, welche Krankheitserreger sie beherbergen und übertragen können“, erläutert der Frankfurter Parasitologe. „Bisher ist der Kenntnisstand zum Vorkommen, zur Verbreitung und zur Vektorkompetenz von Stechmücken in Deutschland lückenhaft und beruht im Wesentlichen auf veralteten Daten. Doch abgesicherte und aktuelle Datensätze sind essentiell, um einen potentiellen Ausbruch einer Infektionskrankheit rechtzeitig zu erkennen und präventive Maßnahmen ergreifen zu können.“

Denn die Gefahren durch die blutsaugenden Plagegeister könnten in naher Zukunft zunehmen. So wurde beispielsweise in den letzten Jahren beobachtet, dass die in Deutschland heimische Stechmücke Anopheles plumbeus ihr Brutverhalten geändert hat. Die Stechmücke, die nachweislich importierte Stämme des gefährlichen Malariaerregers Plasmodium falciparum übertragen kann, wurde vom reinen “Baumhöhlenbrüter“ zum “Regentonnenbrüter“ und fühlt sich nun auch in Gärten und damit menschlicher Nähe wohl.

Und auch die Sandmücken sind auf dem Vormarsch – mit der parasitären Infektionskrankheit „Leishmaniose“ im Gepäck. In Deutschland ist Leishmaniose bisher lediglich als Reise- und Importkrankheit bekannt. In jüngerer Zeit wurden jedoch zwei natürlich in Deutschland vorkommende Sandmückenarten (Phlebotomus mascittii und Phlebotomus perniciosus) nachgewiesen, die potentielle Vektoren für die – zum Teil tödlich verlaufende – Krankheit sind.
„Bisher sind hierzulande keine Fälle zur Übertragung der genannten Krankheiten bekannt und es besteht kein Grund zur Panik“, meint Klimpel, „aber es ist dennoch zu vermuten, dass sich in Zukunft – durch die Klimaerwärmung – sowohl invasive Mückenarten, als auch die damit verbundenen Krankheitserreger weiter ausbreiten und sich in den nächsten Jahrzehnten in Europa und Deutschland etablieren werden.“

Kontakt
Prof. Dr. Sven Klimpel
Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Tel.: 069 7542 1895
sven.klimpel@senckenberg.de

Judith Jördens
Pressestelle
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Tel.: 069 7542 1434
judith.joerdens@senckenberg.de
Die Erforschung von Lebensformen in ihrer Vielfalt und ihren Ökosystemen, Klimaforschung und Geologie, die Suche nach vergangenem Leben und letztlich das Verständnis des gesamten Systems Erde-Leben – dafür arbeitet die SENCKENBERG Gesellschaft für Naturforschung. Ausstellungen und Museen sind die Schaufenster der Naturforschung, durch die Senckenberg aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse mit den Menschen teilt und Einblick in vergangene Zeitalter sowie die Vielfalt der Natur vermittelt. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Frankfurt am Main
Mit dem Ziel, anhand eines breit angelegten Methodenspektrums die komplexen Wechselwirkungen von Biodiversität und Klima zu entschlüsseln, wird das Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) seit 2008 im Rahmen der hessischen Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich ökonomischer Exzellenz (LOEWE) gefördert. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe Universität Frankfurt sowie weitere direkt eingebundene Partner kooperieren eng mit regionalen, nationalen und internationalen Institutionen aus Wissenschaft, Ressourcen- und Umweltmanagement, um Projektionen für die Zukunft zu entwickeln und wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen für ein nachhaltiges Handeln zu geben.

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Judith Jördens Senckenberg

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