Uhrwerk im Fliegenauge

Timing ist im Leben aller Organismen alles: Pflanzen treiben aus, wenn das Frühjahr naht, Bienen wissen, zu welcher Tageszeit welche Blüten geöffnet sind, Menschen werden abends müde und wachen am Morgen wieder auf, selbst Einzeller besitzen eine innere Uhr. Auch die Taufliege Drosophila melanogaster besitzt eine Reihe sogenannter Uhren-Gene, nach denen sich ihr Verhalten richtet.

Was das Timing der Taufliege betrifft, haben Wissenschaftler der Universitäten Padua, Ferrara und Würzburg jetzt ein überraschendes Detail entdeckt: „Wir konnten zeigen, dass das Blaulicht-Pigment Cryptochrom im Auge der Fliege mit einer wichtigen Komponente der Phototransduktionskaskade, dem Proteinkomplex InaD, interagiert“, sagt Professorin Charlotte Förster. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift PNAS stellen die Forscher ihre Arbeit vor.

Charlotte Förster ist seit September 2009 Professorin an der Universität Würzburg; sie hat den Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik inne. Chronobiologie, also die zeitliche Organisation aller Lebewesen, ist das Spezialgebiet der Biologin. Sie ist außerdem Sprecherin des Sonderforschungsbereichs „Insect timing: mechanisms, plasticity and interactions“, der zu Beginn dieses Jahres seine Arbeit aufgenommen hat. Auch er geht der Frage nach, wie die inneren Uhren im Tierreich funktionieren.

Eingriff in den Sehprozess

Die Tatsache, dass Cryptochrom in den Sehprozess eingreift, ist für die Wissenschaft völlig neu. „Bisher galt Cryptochrom als wichtiger Photorezeptor in der inneren Uhr der Fliege“, sagt Förster. In speziellen Nervenzellen, den sogenannten Uhrneuronen, interagiert Cryptochrom bei Belichtung mit dem Uhrprotein Timeless und sorgt so dafür, dass dieses Protein abgebaut wird. Eine Rolle von Cryptochrom im Sehprozess und damit an den Membranen der Sehzellen war bisher nicht bekannt.

Diese molekularen Prozesse aufgedeckt haben die an der Veröffentlichung beteiligten Wissenschaftler aus Italien. Charlotte Försters Arbeitsgruppe war für die entsprechenden Verhaltensexperimente zuständig, mit denen der Nachweis am lebenden Objekt möglich war, dass Cryptochrom tatsächlich den Sehprozess beeinflusst.

Die Experimente

„Die Lichtempfindlichkeit der Augen wird bei allen Tieren durch die innere Uhr moduliert“, erklärt Charlotte Förster. So sind die Augen in der Regel nachts empfindlicher als am Tage. Bei Fliegen kann die Lichtempfindlichkeit am einfachsten durch Verhaltensexperimente getestet werden. Dafür messen die Wissenschaftler die Tendenz der Tiere, auf eine Lichtquelle zuzulaufen oder einem sich um sie herum drehenden Streifenmuster zu folgen. „Beide Reaktionen sind in der Nacht, wenn die Photorezeptorzellen des Auges empfindlicher sind, stärker als am Tag“, so die Biologin. Tatsächlich konnte Försters Mitarbeiter Matthias Schlichting in seinen Experimenten zeigen, dass Fliegen, denen das Gen für Cryptochrom fehlt, diesen Rhythmus nicht aufweisen. Ihre Reaktion verharrt permanent auf dem Minimum, das am Tag messbar ist.

Messung an der Netzhaut

Da diese messbaren Verhaltensreaktionen sozusagen „am Ende des ganzen Sehprozesses“ stehen und durch viele äußere und innere Einflüsse verändert werden können, haben die Wissenschaftler zusätzlich die Lichtempfindlichkeit des Auges auf direktem Wege gemessen. Verantwortlich dafür war Rudi Grebler, ebenfalls Mitarbeiter an Försters Lehrstuhl. Grebler hat unter anderem die Reaktion der Zellen in der Netzhaut der Fliegen gemessen, wenn diesen ein Lichtblitz präsentiert wurde. Das Ergebnis: Auch in diesem Fall war die Lichtempfindlichkeit des Auges von Fliegen, denen das Gen für Cryptochrom fehlte, in gleicher Weise verändert, wie in den Verhaltensexperimenten: Die tagesrhythmische Modulation fehlte und die Photorezeptorzellen des Auges zeigten kein Empfindlichkeitsmaximum mehr.

Für die Wissenschaftler lautet deshalb das Fazit: „Cryptochrom scheint ein wichtiger Vermittler zwischen der inneren Uhr und der Lichtempfindlichkeit des Auges zu sein. Dies geschieht offensichtlich über eine Interaktion mit dem Protein InaD“.

“Fly cryptochrome and the visual system”. Gabriella Mazzotta, Alessandro Rossi, Emanuela Leonardi, Moyra Mason, Cristiano Bertolucci, Laura Caccin, Barbara Spolaore, Alberto J. M. Martin, Matthias Schlichting, Rudi Grebler, Charlotte Helfrich-Förster, Stefano Mammi, Rodolfo Costa and Silvio C. E. Tosatto. PNAS Online Early Edition, 25. März 2013. www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1212317110

Kontakt
Prof. Dr. Charlotte Förster, (0931) 31-88823, charlotte.foerster@biozentrum.uni-wuerzburg.de

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Gunnar Bartsch idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-wuerzburg.de

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