"Tischlein deck dich" in der Tiefsee

Sketch eines Wassertropfens, der die unterschiedlichsten chemischen Verbindungen enthält, z. B. Harnstoff (Urea), Vitamin B12, Kohlenstoff. Copyright: Gerhard Herndl

Im Oberflächengewässer betreiben einzellige Algen Photosynthese und teilen sich etwa alle zwei Tage. Diese einzelligen Algen stellen die Basis des ozeanischen Nahrungsnetzes dar. Der größte Teil dieser Algenbiomasse wird vom tierischen Plankton gefressen und deren Kotballen sinken dann als Partikelregen in die Tiefsee und dienen den Tiefseelebewesen als Nahrungsquelle.

Der überwiegende Teil dieser Partikel wird von Mikroben zersetzt. Allerdings können diese Mikroben nur Nahrung in gelöster Form aufnehmen; d. h., diese organischen Partikel müssen durch mikrobielle Enzyme zuerst aufgelöst werden, bevor sie von den Mikroben aufgenommen werden können.

Neben diesem Pool an partikulärem organischen Material gibt es auch einen Pool an gelöstem organischen Material, da alle Organismen im Ozean auch direkt oder indirekt gelöste Substanzen über ihre Oberfläche in das Wasser abgeben. Während sich die molekulare Zusammensetzung von partikulärem und gelöstem organischen Material im Oberflächengewässer relativ wenig unterscheidet, wird der Unterschied mit zunehmender Tiefe im Ozean immer größer.

Änderungen in der molekularen Zusammensetzung des organischen Materials mit der Tiefe sollten auch Änderungen in den Aufnahmesystemen der Mikroben bedingen, mit denen sie die organischen Moleküle in die Zellen einschleusen.

„Proteinshake“

In der aktuellen Studie untersuchte ein Team um Kristin Bergauer und Gerhard J. Herndl von der Universität Wien gemeinsam mit KollegInnen aus Odense (Dänemark), Bremen (Deutschland) und Maine (USA) den Stoffwechsel der mikrobiellen Gemeinschaft im Atlantischen Ozean von 100 Meter bis über 4.000 Meter Tiefe. Im Fokus der Arbeit standen Transportproteine, die es den Mikroorganismen ermöglichen, Nährstoffe aus dem umgebenden Meerwasser aufzunehmen.

Die ForscherInnen fanden erwartungsgemäß viele Veränderungen in den Transportwegen von organischem Material entlang dieses Tiefenprofils. Überraschenderweise gab es große Ähnlichkeiten in den zellulären Proteinen, die von Mikroben verwendet werden, um organisches Material abzubauen und mikrobielles Leben in der Tiefsee zu unterstützen. “Die Vielfalt dieser Transporter liefert derzeit die besten Hinweise auf die organischen und anorganischen Verbindungen, die tatsächlich von Mikroben aufgenommen werden“, so Gerhard Herndl, der Initiator der Studie.

Transportproteine liefern wichtige Hinweise

Erstaunlich war, dass die Häufigkeit von Transportproteinen mit der Tiefe zunimmt. Die Anzahl dieser Transporter stieg von 23 Prozent in 100 Meter Tiefe auf 39 Prozent in der Tiefsee an. „Wir vermuten, dass trotz der geringeren Konzentration an organischem Material in der Tiefsee heterotrophe Stoffwechselwege essenziell sind. Aufgrund der überraschenden Ähnlichkeit der Transportproteine der Mikroben vom Oberflächengewässer bis in die Tiefsee gehen wir davon aus, dass sich Tiefsee-Mikroben eher von dem Regen an organischen Partikel ernähren als vom Pool an gelöstem organischen Material“, so Herndl.

Variante „A“ oder Variante „B“ im Speiseplan – nicht alle brauchen alles

Außerdem zeigte sich, dass nur wenige Transportproteine von Archaea (zwei Prozent gegenüber 69 Prozent von Bakterien) stammen, was darauf hindeutet, dass heterotrophe Bakterien den Konsum von organischem Material in der gesamten Wassersäule des Atlantischen Ozeans dominieren.

„Bei den marinen Thaumarchaeota kann man nur wenige Transporter für organisches Material erwarten, da alle bisher kultivierten Thaumarchaeota die Energie aus der Ammoniak-Oxidation und Kohlenstoff aus der CO2 Fixierung gewinnen“, erklärt Kristin Bergauer, die Erstautorin der Studie. Folglich produzieren marine Thaumarchaeota fast alle Proteine für den Transport von Ammonium, selbst in Oberflächengewässern.

Die Studie über den Abbau organischen Materials in der Tiefsee wurde unter anderem vom Wissenschaftsfonds (FWF) sowie vom European Research Council (ERC) gefördert. Die Arbeit ist Teil der Dissertation von Kristin Bergauer.

Publikation in „PNAS plus“
„Organic matter processing by microbial communities throughout the Atlantic water column as revealed by metaproteomics“: Kristin Bergauer, Antonio Fernandez-Guerra, Juan A. L. Garcia, Richard R. Sprenger, Ramunas Stepanauskas, Maria G. Pachiadaki, Ole N. Jensen, Gerhard J. Herndl
http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1708779115

Wissenschaftliche Kontakte
Gerhard J. Herndl und Kristin Bergauer
Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie
Universität Wien
1090 Wien, Althanstraße 14
T +43-1-4277-76431
M +43-664-60277-76431
gerhard.herndl@univie.ac.at
kristin.bergauer@univie.ac.at

Rückfragehinweis
Mag. Alexandra Frey
Pressebüro der Universität Wien
Forschung und Lehre
1010 Wien, Universitätsring 1
T +43-1-4277-175 33
M +43-664-60277-175 33
alexandra.frey@univie.ac.at

Offen für Neues. Seit 1365.
Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten Europas: An 19 Fakultäten und Zentren arbeiten rund 9.500 MitarbeiterInnen, davon 6.600 WissenschafterInnen. Die Universität Wien ist damit die größte Forschungsinstitution Österreichs sowie die größte Bildungsstätte: An der Universität Wien sind derzeit rund 94.000 nationale und internationale Studierende inskribiert. Mit 174 Studien verfügt sie über das vielfältigste Studienangebot des Landes. Die Universität Wien ist auch eine bedeutende Einrichtung für Weiterbildung in Österreich. http://www.univie.ac.at

Media Contact

Stephan Brodicky Universität Wien

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neues topologisches Metamaterial

… verstärkt Schallwellen exponentiell. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am niederländischen Forschungsinstitut AMOLF haben in einer internationalen Kollaboration ein neuartiges Metamaterial entwickelt, durch das sich Schallwellen auf völlig neue Art und Weise…

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Partner & Förderer