Stammzellen aus dem Fruchtwasser

Humane Fruchtwasserzellen vor der Reprogrammierung (links) zu Fruchtwasser-iPS-Zellen (zweites Bild von links) sind von embryonalen Stammzellen äußerlich nicht zu unterscheiden. Fruchtwasser-iPS-Zellen produzieren OCT4 (grün), einen der wichtigsten Markerproteine für Stammzellen. Ausgehend von diesem embryonalen Stammzellstadium können die Fruchtwasser-iPS-Zellen unter anderem leberzellähnliche Zellen bilden (rechts). Sie produzieren das Plasmaprotein Alpha-Fetoprotein (rot). Bild: Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berllin<br>

Auf Stammzellen ruhen große Hoffnungen: Eine Vielzahl von Erkrankungen könnte eines Tages damit behandelt werden. Bislang werden sie vor allem aus Embryonen gewonnen, was jedoch ethische Probleme mit sich bringt. Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik in Berlin ist es nun gelungen, Zellen aus dem Fruchtwasser in Stammzellen umzuwandeln. Diese Fruchtwasser-Stammzellen sind zwar kaum von embryonalen Stammzellen zu unterscheiden, „erinnern“ sich aber an den ursprünglichen Zelltyp, aus dem sie entstanden sind. (PLoS One, 29. Oktober 2010)

Die besonderen Fähigkeiten der embryonalen Stammzellen können heute in einer Vielzahl von bereits „ausgewachsenen“ Zellen (z.B. Haut- und Haarzellen) genutzt werden. Dafür werden diese Zellen reprogrammiert und in so genannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) umgewandelt. Diese besitzen dann wieder die typischen Stammzelleigenschaften: Sie können jede Zellart des menschlichen Körpers bilden (Pluripotenz) sowie sich unendlich vermehren.

Stammzellen mit Gedächtnis

Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Fruchtwasser-iPS-Zellen verschiedene Zelltypen des menschlichen Körpers bilden können. Darüber hinaus haben sie entdeckt, dass induzierte pluripotente Stammzellen sich an den Ursprungszelltyp erinnern können, aus dem sie hervorgegangen sind. Bei der Reprogrammierung der Zellen werden offenbar verschiedene Gene zusätzlich angeschaltet oder bleiben aktiv, die die Entwicklung der Stammzellen kontrollieren. Dies bestätigt andere, aktuelle Forschungsergebnisse, wonach iPS-Zellen aus verschiedenen Geweben vorrangig den gleichen Entwicklungsweg nehmen, den sie bereits vor der Reprogrammierung eingeschlagen haben. „Im Moment wissen wir noch nicht, ob sich dieses Stammzellgedächtnis auf mögliche medizinische Behandlungen auswirkt und welche Art Stammzellen für eine Therapie am besten geeignet ist“, sagt Katharina Wolfrum vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik.

Fruchtwasserzellen haben gegenüber anderen Zelltypen verschiedene Vorteile. Zum einen werden Fruchtwasserzellen routinemäßig bei vorgeburtlichen Untersuchungen gewonnen, um mögliche Erkrankungen früh zu entdecken. Dabei werden meist mehr Zellen isoliert, als tatsächlich benötigt werden. Zum anderen enthält das Fruchtwasser eine Mischung verschiedener Zellarten des ungeborenen Kindes, darunter auch stammzellähnliche Zellen. Da sie nicht sehr alt sind, sammeln sich weniger umweltbedingte Mutationen an, was sie genetisch stabiler macht. „Möglicherweise können solche Zellen aus dem Fruchtwasser deshalb schneller und einfacher reprogrammiert werden, als andere Zelltypen. Dies macht Fruchtwasser-iPS-Zellen zu einer interessanten Ergänzung zu embryonalen Stammzellen“, erklärt James Adjaye vom Berliner Max-Planck-Institut.

Darüber hinaus könnten Fruchtwasserzellen bereits vor der Geburt eines Kindes zur zellulären Reprogrammierung entnommen und während der Schwangerschaft entsprechend ihres späteren Verwendungszwecks vorbereitet werden. „Auf diese Weise könnte schon vor der Geburt getestet werden, welche Medikamente bei einem Baby wirken und ob es sie verträgt. Außerdem könnten kranke Neugeborene mit körpereigenen Zellen behandelt werden“, sagt Adjaye.

Originalveröffentlichung:

The LARGE Principle of Cellular Reprogramming: Lost, Acquired and Retained Gene Expression in Foreskin and Amniotic Fluid-Derived Human iPS Cells
Katharina Wolfrum, Ying Wang, Alessandro Prigione, Karl Sperling, Hans Lehrach, James Adjaye

PLoS One 2010, 5: e13703 (doi:10.1371/journal.pone.0013703)

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. James Adjaye
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin
Tel.: +49 30 8413-1203
E-Mail: adjaye@molgen.mpg.de
Dr. Patricia Marquardt, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin
Tel.: +49 30 8413-1716
E-Mail: patricia.marquardt@molgen.mpg.de

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