Wie das Speicherorgan der Zelle entsteht

Wenn man in den sauren Apfel beißt, hat man sie gerade zerstört – die pflanzliche Vakuole. Obwohl Vakuolen den meisten Platz in einer Pflanzenzelle einnehmen, ist nur wenig darüber bekannt, wie diese Speicherorgane der Zelle entstehen und wie die darin gelagerten Inhaltsstoffe ihren Weg dorthin finden.

Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) haben jetzt ein neues Protein entdeckt, das für die Entstehung der Vakuole notwendig ist. Damit haben sie gleichzeitig neue Hinweise zur Entschlüsselung der Vakuolen-Entstehung gefunden. Nun wollen sie den Mechanismus komplett aufklären.

Zellen – ob bei Pflanze, Tier oder Mensch – bestehen aus verschiedenen Organellen, also abgegrenzten Strukturen, die in der Zelle unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Das mit Abstand größte Organell der pflanzlichen Zelle ist die Vakuole: Diese wird von einer Membran umschlossen und speichert in ihrem Inneren wichtige Inhaltsstoffe für die Pflanzenzelle. Zum Beispiel die für unsere Ernährung wertvollen Eiweiße von Erbsen, Bohnen und Linsen, aber auch die Farbstoffe von Blüten, die Bitterstoffe vom Tee oder eben die Fruchtsäuren vom sauren Apfel. Wie die Vakuole im Inneren einer Pflanzenzelle gebildet wird und wie die in ihr gelagerten Inhaltsstoffe ihren Weg dorthin finden, ist bislang nur in Ansätzen verstanden. Ein Forscherteam vom Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TUM hat jetzt ein neues Protein entdeckt, das für die Ausbildung der Vakuole notwendig ist.

Die Wissenschaftler um Prof. Claus Schwechheimer vom Lehrstuhl für Systembiologie der Pflanzen haben für ihre Untersuchungen die Ackerschmalwand als Modellpflanze benutzt. „Anhand des Vergleichs von Zellen der wildtypischen Variante mit den Zellen einer Mutante konnten wir im Labor zeigen, dass ein ganz bestimmter Eiweißstoff für die Ausbildung funktionsfähiger Vakuolen grundlegend wichtig ist“, so Schwechheimer. Fehlt dieses Protein, passieren zwei Dinge: Erstens bilden sich statt einer großen Vakuole innerhalb der Zelle sehr viele kleine, nicht voll funktionsfähige Vakuolen aus. Zweitens kommt innerhalb jeder Pflanzenzelle der Transport von Inhaltsstoffen durcheinander: Die wertvollen Substanzen finden jetzt nicht mehr ihren gewohnten Weg in die Vakuole, sondern werden stattdessen aus der Zelle heraus geschleust – die Pflanze hört auf zu wachsen und verkümmert.

Das jetzt von der Arbeitsgruppe identifizierte Protein fungiert als „Abspaltprotein“: Es ist in der Lage, ein fast überall in Zellen vorkommendes, kleines Eiweiß namens Ubiquitin von anderen Proteinen abzuspalten. Das An- und Abhängen von Ubiquitin ist generell ein Mechanismus, den Zellen benutzen, um Stoffwechselprozesse zu starten oder zu stoppen und um ihren Proteinen bestimmte Aufgaben zuzuweisen. Anhand der verkümmerten Vergleichspflänzchen konnte das Forscherteam nun nachweisen, dass ohne das untersuchte Abspaltprotein in der Pflanzenzelle kein funktionsfähiges Speicherorgan entstehen kann. Der Grund: Wo das entdeckte Protein fehlt, reichert sich ein bestimmter Ubiquitin-markierter Eiweißstoff an – und verhindert in der Zelle die normale Vakuolenbildung. Dass Ubiquitin-markierte Proteine bei der Entstehung dieser zellulären Speicherorgane überhaupt eine Rolle spielen könnten, hat bisher noch kein Forscher weltweit beobachtet.

Im zweiten Schritt sucht das Team nun gezielt nach diesem Ubiquitin-markierten Protein, welches die Bildung der Vakuolen blockiert. “Diese Nuss wird schwer zu knacken sein”, sagt Dr. Erika Isono, die diese Studien am Lehrstuhl für Systembiologie der Pflanzen koordiniert. „Zum einen ist bekannt, dass mit Ubiquitin markierte Proteine generell nicht sehr stabil und deshalb schwierig nachzuweisen sind. Zum anderen gibt es in der Zelle eine große Fülle an Ubiquitin-markierten Proteinen mit ganz unterschiedlichen Aufgaben.“ Kurz: Die Jagd nach dem Protein, das für die Vakuolenbildung wichtig ist, gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Doch die TUM-Forscher nehmen die Herausforderung an. Hilfreich bei den weiteren Untersuchungen zu diesem zellulären Prozess werden drei neue Fluoreszenzmikroskope im Gesamtwert von 500.000 Euro sein, die der Lehrstuhl mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der TUM und des Freistaats Bayern in diesen Tagen in Betrieb genommen hat. Wenn die Systembiologen den Prozess der Vakuolenbildung komplett entschlüsseln, könnten sie damit helfen, in Zukunft die Inhalte dieses Speicherorgans gezielt zu verändern. Damit könnte man die Qualität von pflanzlichen Nahrungsmitteln verbessern – indem man etwa den sauren Apfel süßer oder Hülsenfrüchte noch proteinreicher macht.

Kontakt:
Technische Universität München
Wissenschaftszentrum Weihenstephan
Lehrstuhl Systembiologie der Pflanzen
Prof. Dr. Claus Schwechheimer / Dr. Erika Isono
Telefon: 08161 / 71 – 2880 / 08161 / 71 – 2875
E-Mail: claus.schwechheimer@wzw.tum.de / erika.isono@wzw.tum.de
Die Mobilfunknummer von Prof. Schwechheimer kann in der Pressestelle erfragt werden.
Originalveröffentlichung:
Erika Isono, Anthi Katsiarimpa, Isabel Karin Müller, Franziska Anzenberger, York-Dieter Stierhof, Niko Geldner, Joanne Chory, and Claus Schwechheimer: The deubiquitinating enzyme AMSH3 is required for intracellular trafficking and vacuole biogenesis in Arabidopsis thaliana. Plant Cell (2010) 22(6):1826-1837. Vorab online veröffentlicht am 11. Juni 2010, DOI: 10.1105/tpc.110.075952
Online-Abstract unter http://www.plantcell.org/cgi/content/abstract/22/6/1826
Der Originalartikel kann bei Bedarf als pdf-Dokument angefordert werden.
Hintergrund:
Die Forschungsarbeit „Elucidating the function of the deubiquitinating enzyme AMSH3 from Arabidopsis thaliana“ wurde durch eine Sachbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

Media Contact

Dr. Ulrich Marsch idw

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