Ein Schritt zur Heilung unheilbarer Krankheiten

Weil die Eizellen des possierlichen Tierchens die gefragtesten Vehikel zur Herstellung der wichtigsten Therapeutika sind, eröffnet das ganz neue Möglichkeiten in der Entwicklung neuer, wirksamer Medikamente. Das Ergebnis wurde im „Nature Biotechnology“ veröffentlicht.

Hamster sind nicht nur beliebte Haustiere, sie sind aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken – zumindest die Eizellen der weiblichen Chinesischen Hamster (CHO-Zellen). Die sind die gefragtesten Produktionsvehikel in der Pharmaindustrie. Eine ForscherInnengruppe um Prof. Nicole Borth hat nun das Genom des chinesischen Hamsters entschlüsselt – als Ergebnis der Forschungspartnerschaft zwischen dem Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib), der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) und der Universität Bielfeld (CeBiTec) unter Leitung von Prof. Alfred Pühler. Dazu kam eine finanzielle Unterstützung durch die Pharmafirmen Pfizer (USA) und Novartis (CH).

„Wir können jetzt besser verstehen, wie die Zellen funktionieren und sie besser an die gewünschten Anforderungen anpassen“, erklärt die Wissenschafterin und denkt an neue Behandlungsmethoden für bisher unheilbare Krankheiten.

Ob Antikörper, Blutgerinnungsfaktoren, Rheumatherapie oder Krebsmedikamente – die Pharmaindustrie bringt immer mehr therapeutische Proteine auf den Markt. Wirkstoffe in der Humanmedizin sind aber nicht nach einem einfachen Muster gestrickt. Während chemische Moleküle aus wenigen Atomen aufgebaut sind, bestehen die weit komplizierteren therapeutischen Proteine aus hunderten Aminosäuren und komplexen Anhängen. Im Gegensatz zu chemischen Produkten müssen diese Eiweißstoffe perfekt an den menschlichen Organismus angepasst sein, damit es zu keinen Neben- oder Abwehrreaktionen kommt.

„Das häufigste Produktionssystem für diese Substanzen sind seit 1987 Eizellen des Chinesischen Hamsters“, erklärt Nicole Borth. Das erste Produkt war ein Wirkstoff, der Herzinfarktpatienten verabreicht wurde, um das Auflösen von Blutkörperchen zu stimulieren. 70 % der pharmazeutischen Proteinwirkstoffe werden inzwischen mit CHO-Zellen hergestellt. Hamster müssen dafür keine mehr sterben, Industrie und Forschende vermehren nur noch die Zellen, die 1958 isoliert wurden und seither in vielen Labors weltweit in-vitro kultiviert werden.

Das schont die Hamster, führt aber gleichzeitig zu Schwierigkeiten. „Die Hamsterzellen sind genetisch instabil“, weiß Forscherin Borth, „die Aktivität der Gene sowie zum Teil das Genom selbst, ist in allen Labors, die Hamsterzellen entwickeln und vermehren, unterschiedlich und verändert sich immer noch weiter“. Das ist ein Vorteil – die Anpassungsfähigkeit der Zellen betrachtend. Und ein Nachteil, weil es passieren kann, dass sich Eigenschaften von Zellen, die für die effiziente und sichere Produktion wichtig wären, wieder verändern.

Das nun sequenzierte Genom des „Originalhamsters“ ist die perfekte Referenz, um das Erbgut der Produktionszellen zu untersuchen und bei Bedarf anzupassen. Damit möglichst viele ForscherInnen Zugang zu den Daten haben, hat die Wissenschafterin mit 2 Kollegen aus USA (Prof. Mike Betenbaugh, Johns Hopkins University sowie Prof. Kelvin H. Lee, University of Delaware) die Plattform www.chogenome.org gegründet, wo Informationen und Arbeitsmaterial zu den Hamsterzellen für die Forschung zur Verfügung gestellt werden. Nicole Borths Vision: „Wir werden solche komplexen Wirkstoffe effizienter und kostengünstiger herstellen – zu Preisen, die sich jedes durchschnittliche Gesundheitssystem leisten kann.“

Weil das Hamstergenom in seiner Größe mit dem menschlichen vergleichbar ist, galt es, enorme Datenmengen zu bewältigen. „Wir haben 1,4 Milliarden kurzer DNA-Abschnitte erzeugt“, erklärt Karina Brinkrolf; sie war am CeBiTec für die Sequenzierung zuständig. Die Herausforderung war, diese Teil wie ein Puzzle zum gesamten Erbgut, das auf 11 Chromosomenpaaren verteilt ist, zusammenzusetzen.

Das Ergebnis der aufwändigen Zusammenarbeit ist die Veröffentlichung in einem der wichtigsten Wissenschaftsjournale weltweit – im „Nature Biotechnology“.

Produktion mit Hamsterzellen:
In das Erbgut von CHO-Zellen wird jenes Gen eingebaut, das der Zelle sagt, dass sie ein neues Protein herstellen soll, nämlich den Wirkstoff. Mit ausgefeilten Methoden suchen die ForscherInnen unter tausenden Zellen dann jene aus, die das am besten kann. Diese Zelle wird vermehrt und für die Produktion eingesetzt, die in einer flüssigen Nährlösung in bis zu 20 000 l großen Bioreaktoren passiert. Auf die Herstellung folgen Reinigungsverfahren, bis nur noch der reine Wirkstoff übrig ist. „Aus einem Liter Nährlösung erhält man im Falle von Antikörpern etwa 2 bis 5 g Produkt, bei anderen Wirkstoffen oft viel weniger. Die durchschnittliche Antikörperdosis für einen Menschen liegt in der Großenordnung ein bis mehrere Gramm, wobei langfristige Therapien derzeit noch zwischen 10 und 40 000 € pro Jahr und Patient kosten“, weiß Forscherin Nicole Borth.

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Thomas Stanzer idw

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