Ein Schlüssel-Gen für die Sehfähigkeit: AP2gamma steuert die Bildung von Nervenzellen in der Großhirnrinde

Die Wissenschaftler untersuchten die Wirkung des Transkriptionsfaktors AP2gamma auf die Reifung von Vorläuferzellen zu Nervenzellen während der Embryonalentwicklung von Mäusen. Dabei zeigte sich, dass AP2gamma für die Ausbildung einer funktionierenden Sehrinde der Tiere unbedingt erforderlich ist.

Da das AP2gamma-Gen bei Primaten besonders stark in den Vorläuferzellen für die entwicklungsgeschichtlich jungen oberen Schichten der Hirnrinde aktiv ist, könnten diese Ergebnisse auch neues Licht auf die Evolution des menschlichen Gehirns werfen.

Eine auffällige Eigenschaft der Großhirnrinde – der gefalteten äußeren Schicht des Gehirns mit den sprichwörtlichen „grauen Zellen“ – ist ihre Unterteilung in verschiedene Bereiche und Schichten. Dabei unterscheiden sich die Hirnregionen in der Zusammensetzung der Zelllagen aus Neuronen und anderen Zellen. „Diese Differenzierung zu verstehen, ist auch deshalb interessant, weil die Unterschiede auf zellulärer Ebene mit den verschiedenen Leistungen und Aufgaben der einzelnen Kortexregionen gekoppelt sind“, sagt Prof. Dr. Magdalena Götz vom Institut für Stammzellforschung am Helmholtz Zentrum München. Die 6-schichtige Großhirnrinde trat in der Evolution erst bei den Säugetieren auf. Und die sind zu viel komplexerem Verhalten fähig als beispielsweise Reptilien oder Fische.

Ein wichtiger Schritt gelang nun Wissenschaftlern der Institute für Stammzellforschung und für Experimentelle Genetik des Helmholtz Zentrums München. In ihrer gerade in der renommierten Fachzeitschrift Nature Neuroscience veröffentlichten Studie berichten Luisa Pinto, Magdalena Götz und ihre Kollegen, dass Unterschiede zwischen den Kortexregionen dadurch beeinflusst wird, wann und wo sich Vorläuferzellen zu reifen Nervenzellen weiterentwickeln. Das entscheidende Steuer-Molekül war dabei der Transkriptionsfaktor AP2gamma: ein Protein, das an der Regulation der Gen-Aktivität in den Zellen beteiligt ist. „Diese Arbeiten konnten AP2gamma erstmals als molekularen Faktor identifizieren, der für die Vermehrung bestimmter Nervenzellen während der Evolution des Vorderhirns wichtig zu sein scheint“, betont Götz.

Zunächst stellten die Forscher fest, dass AP2gamma im Mäuse-Embryo ausschließlich in der Großhirnrinde vorhanden ist, also mit ungewöhnlicher Spezifität. Dann untersuchten sie Mäuse, denen das AP2gamma-Gen selektiv in der Großhirnrinde fehlt. Bei diesen Tieren gab es weniger Nervenzellen in den oberen Schichten der Hirnrinde des Hinterhauptlappens – das ist die Region, in der das Sehzentrum sitzt. Erwachsene Mäusen ohne AP2gamma hatten tatsächlich Probleme mit der Sehfähigkeit: Das räumliche Auflösungsvermögen des Sehzentrums war stark verringert und auch die Fähigkeit der Mäuse zu beidäugigem Sehen gestört.

Die Ursache dafür fanden das Forscherteam um Götz auf mikroskopischer Ebene: Zwar ist die Zellteilung nicht verringert, wenn AP2gamma fehlt. Aber offenbar wird die Reifung der Vorläuferzellen verhindert: Bei AP2gamma-knockout-Mäusen behalten sie teilweise die Eigenschaften früher Vorläuferzellen bei und sterben deswegen früher ab. Infolgedessen wachsen weniger fertige Nervenzellen heran.

Besonders bemerkenswert ist an diesen Studienergebnissen, dass der Ausfall der Nervenzell-Entwicklung bei den AP2gamma-knockout-Mäusen auf den visuellen Kortex beschränkt ist. Gerade höher entwickelte Säugetiere haben besonders viel der Neurone, die durch AP2gamma reguliert werden.

Weitere Informationen

Originalveröffentlichung:
L. Pinto, D. Drechsel, M.-T. Schmid, J. Ninkovic, M. Irmler, M.S. Brill, L. Restani, L. Gianfranceschi, C. Cerri, S.N. Weber, V. Tarabykin, F. Guillemot, J. Beckers, N. Zecevic, C. Dehay, M. Caleo, H. Schorle and M. Götz (2009). AP2gamma regulates basal progenitor fate in a region- and layer-specific manner in the developing cortex. Nature Neuroscience 12, 1229-1237.
Aricle highlight:
Waclaw, RR and K. Campbell (2009) Regional control of cortical lamination. Nature Neuroscience 12, 1211-1212.
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Das Institut für Stammzellforschung untersucht die Hauptelemente der Regulation des Zellschicksals und der Zellvermehrung in unterschiedlichen Organsystemen.
Die Wissenschaftler erforschen Stammzellen unterschiedlicher Organe, etwa des Nervensystems oder des Hämatopoese-Systems, um die molekularen und zellulären Mechanismen aufzuklären, die für das gemeinsame Hauptmerkmal aller Stammzellen verantwortlich sind. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Regulation der Entstehung spezifischen Zelltypen aus Stammzellen in Hinblick auf einen rekonstitutierenden therapeutischen Ansatz.

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