Schlaganfall: Hirnzellen verstärken schädliche Entladungen

DZNE-Forscher haben durch Laboruntersuchungen herausgefunden, dass bei einem Schlaganfall bestimmte Hirnzellen in fataler Weise zusammenspielen. Schädliche elektrische Entladungen werden dadurch verstärkt. Diese mikroskopische Aufnahme zeigt Hirnzellen (blau und grün) einer Maus. Blutgefäße sind rot gefärbt. Quelle: DZNE/Cordula Rakers

Das Gehirn ist auf eine ständige Versorgung mit Sauerstoff angewiesen. Deshalb kann ein Schlaganfall – auch „Hirninfarkt“ genannt – schlimme Folgen haben. Unabhängig davon, ob durch eine Hirnblutung oder eine verstopfte Arterie ausgelöst: Sauerstoffmangel rafft Nervenzellen im Eiltempo dahin.

Der Schlaganfall zählt daher zu den häufigsten Todesursachen und falls die Betroffenen überleben, können Lähmungen, Sprachschwierigkeiten oder andere Behinderungen zurückbleiben – je nachdem, welche Hirnbereiche verletzt wurden.

Fatalerweise kann sich die Schadenszone – in gewissem Umfang – immer weiter ausdehnen. Ursache dafür sind sogenannte Depolarisationswellen, die bereits Minuten nach einem Infarkt auftreten können – und in den Tagen danach immer wieder. Sie starten im Kerngebiet des Infarkts und überrollen das umliegende Gewebe wie eine Lawine. Diese elektrischen Entladungen setzen die Zellen unter lebensbedrohlichen Stress.

„Die Depolarisationswellen wandern bis in das gesunde Gewebe hinein. Mit jeder Welle kann sich das Infarktvolumen mehr und mehr vergrößern“, sagt Petzold. „Solche Entladungen treten im Übrigen nicht nur bei Schlaganfällen auf, sondern auch bei anderen schweren Hirnverletzungen. Insofern wäre eine Therapie für viele Erkrankungen von Bedeutung.“

Der Therapie bieten sich möglicherweise günstige Chancen, weil sich die Entladungen über mehrere Tage verteilen. Petzold: „Jede Welle ist potentiell gefährlich. Allerdings entstehen die Schäden erst nach und nach. Hier gibt es einen kumulativen Effekt. Eine Behandlung könnte daher positive Wirkung haben, auch wenn sie erst Tage nach dem Schlaganfall erfolgt. Das Zeitfenster zur Behandlung der Depolarisationswellen ist also möglicherweise größer, als bei den etablierten Therapien gegen Schlaganfall.“

Unheilvolle Wechselwirkung von Nervenzellen und Astrozyten

Die DZNE-Forscher fanden nun heraus, wie bei einer Depolarisationswelle verschiedene Geschehnisse und Zelltypen zusammenspielen und die Entladung verstärken. Eine entscheidende Rolle spielen dabei sogenannte Astrozyten. Diese Zellen sind gemeinsam mit den Nervenzellen des Gehirns zu einem Netzwerk verflochten und an diversen Stoffwechselprozessen beteiligt.

„Wenn die Nervenzellen depolarisieren, setzen sie große Mengen des Botenstoffs Glutamat frei. Das Glutamat diffundiert dann zu anderen Zellen, insbesondere zu benachbarten Astrozyten“, erläutert Petzold. „Das wusste man schon. Doch wir konnten nun zeigen, was im Anschluss passiert: Das Glutamat lässt die Konzentration an Kalzium innerhalb der Astrozyten in die Höhe schnellen. Infolgedessen setzen die Astrozyten ebenfalls Glutamat frei. Das kann dann wiederum auf Nervenzellen einwirken. So kommt ein Teufelskreis in Gang, der die Depolarisationswelle potenziert. Dabei wirken die Astrozyten als Verstärker.“

Die Neurowissenschaftler konnten allerdings auch nachweisen, dass Pharmaka diese Ereigniskette unterbrechen und den abnorm erhöhten Kalzium-Spiegel innerhalb der Astrozyten reduzieren können. „Bisher gibt es keine etablierte Therapie, die gezielt auf die Depolarisationswellen einwirkt. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist, die Häufigkeit und Schwere dieser Entladungen abzumildern, wenn man in den Kalzium-Stoffwechsel der Astrozyten eingreift. Prinzipiell könnte dies auch beim Menschen möglich sein. Das wäre ein neuartiger Ansatz für die Behandlung des Schlaganfalls“, so Petzold.

Originalveröffentlichung
„Astrocyte calcium mediates peri-infarct depolarizations in a rodent stroke model“, Cordula Rakers and Gabor C. Petzold, Journal of Clinical Investigation, DOI: http://dx.doi.org/10.1172/JCI89354

https://www.dzne.de/ueber-uns/presse/meldungen/2016/pressemitteilung-nr-24.html

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Dr. Marcus Neitzert idw - Informationsdienst Wissenschaft

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