Mit RNA-Schnipseln gegen Herzinfarkt

Mindestens 30 Prozent der Gene im menschlichen Körper werden durch winzige Stückchen der Ribonukleinsäure reguliert, die ursprünglich als wertlose „junk-RNA“ galten. Die heute als microRNAs bekannten Molekülketten wurden zuerst 1993 beim Fadenwurm C. elegans entdeckt.

Inzwischen sind beim Menschen mehr als 1500 microRNAs beschrieben worden. Die Arbeitsgruppe von Prof. Stefanie Dimmeler erforscht die Rolle der RNA-Schnipsel bei der Entstehung von Herz- und Gefäß-Erkrankungen.

MicroRNAs entfalten ihre Wirkung, indem sie sich an die messenger RNA (mRNA) heften, die als Blaupause für Proteinketten dient. Ist von dem gewünschten Protein genug entstanden, stoppen microRNAs den Prozess, indem sie die mRNA entweder abbauen oder hemmen. Dieses Prinzip ist bereits seit Langem für eine andere Gruppe von RNAs, die silencing RNAs (siRNAs) bekannt. Sie werden zur Hemmung von spezifischen Genen auch therapeutisch eingesetzt. microRNAs unterscheiden sich von siRNAs jedoch darin, dass sie nicht auf einzelne Zielgene, sondern auf bis zu mehrere Hundert Zielgene gerichtet sind. Auf diese Weise beeinflussen sie regulatorische Netzwerke und haben auch einen Anteil an der Entstehung verschiedener Krankheiten. „Daher ist die Erforschung der microRNAs nicht nur ein neues und sehr aktuelles Thema in der Molekular- und Zellbiologie, sondern auch von großem Interesse für die medizinische Forschung“, erklärt Stefanie Dimmeler, Professorin für Molekulare Kardiologie an der Goethe-Universität und Forscherin im Exzellenzcluster „Cardio-Pulmonary System“.

Erste Hinweise zur Funktion von microRNAs im Herz-Kreislauf-System erhielten Dimmeler und ihre Kollegen, indem sie deren Expression in den Zellen der Blutgefäße und im Herzen bestimmten. In einem zweiten Schritt wiesen sie die Funktion einiger microRNAs nach. Die Forscher des Exzellenzclusters in Bad Nauheim konnten zeigen, dass sich Gefäßschädigungen (atherosklerotische Läsionen), die einen Herzinfarkt häufig voran gehen, durch ein microRNA-Cluster aus zwei miRNAs, miR-143 und miR-145, verhindern lassen. Die schützende Wirkung dieser beiden microRNAs zeigte sich an Versuchstieren, bei denen die Expression durch einen genetischen knock-out unterdrückt worden war. Dies führte zu einer beschleunigten Entstehung der gefährlichen atherosklerotischen Läsionen. „Eine mögliche therapeutische Option bietet die Behandlung mit miR-143 und miR-145, die in Mikrovesikeln verpackt sind“, so Dimmeler. „Das konnte unsere Arbeitsgruppe in Kollaboration mit der Gruppe von Achilleas Frangakis vom Institut für Biophysik der Goethe-Universität nachweisen.“

MicroRNAs spielen auch eine zentrale Rolle für das Gefäßwachstum und die Sauerstoffversorgung nach einer Unterbrechung der Blutzufuhr, etwa durch einen Herzinfarkt. Die microRNA-92a hat beispielsweise einen schädlichen Einfluss, weil sie die Bildung von Blutgefäßen unterdrückt. Daher wurde sie mit spezifischen anti-sense-Inhibitoren blockiert. Erste Untersuchungen in präklinischen Großtierstudien zeigen, dass diese die Herzinfarktgröße reduzieren und die Herzfunktion verbessern. Basierend auf diesen experimentellen Ergebnissen hoffen die Forscher, künftig Patienten zu behandeln, die nach einem Herzinfarkt an Minderdurchblutung leiden. Auch Patienten mit der „Schaufensterkrankheit“ (periphere arterielle Verschlusskrankheit, paVK), die vor allem an einer Minderdurchblutung der Beine leiden, könnten davon profitieren.

Ein weiteres Krankheitsbild, bei dem die Forscher beteiligte microRNAs identifizierten, sind Aneurysmen. Das sind Aussackungen der Blutgefäße, die zur Ruptur neigen und lebensbedrohliche Blutungen verursachen können, insbesondere wenn die Bauchschlagader oder Gehirnarterien betroffen sind. Eine Therapie ist bisher nur durch eine chirurgische Operation möglich. Hier ist eine microRNA-Familie im Spiel, die im Alter hoch reguliert wird. Eine Hemmung der miR-29-Familie verhinderte die Erweiterung der Aorta und verbesserte die Matrixzusammensetzung der Gefäßwand. Diese von Reinier Boon und seinen Frankfurter Kollegen am LOEWE-Zentrum für Zell- und Gentherapie erstmals veröffentlichten Erkenntnisse wurden mittlerweile von mehreren Gruppen in den USA bestätigt.

MicroRNAs spielen jedoch nicht nur eine wichtige Rolle bei der Regulation der Genexpression in den Zellen, sondern werden auch aus den Zellen freigesetzt. Sie können deshalb dazu genutzt werden, über eine einfache Blutprobe erste Hinweise über eine Zellaktivierung oder -schädigung zu erhalten. Bei Herzerkrankungen konnten Forscher des Exzellenzclusters zeigen, dass spezifisch aus dem Herzen freigesetzte microRNAs im Blut von Patienten mit Herzinfarkt, aber nicht bei gesunden Freiwilligen zu messen sind. Weiterführende Studien sollen nun zeigen, ob diese Messungen tatsächlich zur frühen Diagnose von Herz-Kreislauf-Erkrankungen genutzt werden können.

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Informationen: Prof. Stefanie Dimmeler, Dr. Reinier Boon, Institut für Kardiovaskuläre Regeneration, Universitätsklinik, Tel. (069) 6301-7440, 069-63017357; dimmeler@em.uni-frankfurt.de; boon@med.uni-frankfurt.de.

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