Reparaturdefekt im Auge lässt Mäuse besser sehen

Dichte heterochromatische DNA der Stäbchen-Sehzellen einer Maus. Bild: Florian Frohns

Den Mäusen ist die bessere Sicht bei Nacht offensichtlich wichtiger als ein intaktes Erbgut in den Sehzellen. Das haben Wissenschaftler um Professor Dr. Markus Löbrich und Professor Dr. Paul Layer von der Technischen Universität Darmstadt in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Current Biology gezeigt (dx.doi.org/10.1016/

j.cub.2014.03.061).

Mäuse sind nachtaktive Tiere. Sie fristen ihr Leben im diffusen Licht der Dunkelheit. Um den schwachen Lichtschein bei Nacht besser fokussieren zu können, verwenden sie die DNA in ihren Stäbchen-Sehzellen als Sammellinsen.

Dazu muss der Erbgutfaden allerdings kompakt aufgerollt und in der Mitte des Zellkerns platziert werden. Aufgelockerte DNA würde das Licht streuen und nicht bündeln. Die Mäuse nutzen die ersten Wochen ihres Lebens dazu, die DNA in den Sehzellen in diese Form und Position zu bringen. Kompakte DNA wird auch als Heterochromatin bezeichnet.

„Man kann im Mikroskop sehr genau beobachten, wie sich mehrere Heterochromatin-Cluster, in denen die DNA dichter gepackt ist als in anderen Bereichen, zu einem einzigen dichten Heterochromatin-Cluster im Zentrum des Zellkerns zusammenlagern“, sagt Dr. Antonia Frohns über diesen frühen Prozess. Sie ist zusammen mit Dr. Florian Frohns Ko-Erstautor der Veröffentlichung

Wenn die DNA in den Stäbchen-Sehzellen als Sammellinse benutzt wird, hat dies einen Preis. Das Erbgut ist dann so gut verpackt, dass es nicht mehr ohne weiteres repariert werden kann. Nicht korrigierte Doppelstrangbrüche, Mutationen und andere Veränderungen können zu Fehlern bei der Umsetzung des genetischen Programms und im schlimmsten Fall sogar zum frühen Tod der Stäbchen-Sehzelle führen. Doppelstrangbrüche gelten als die gefährlichsten Veränderungen in der Zelle. Deren Reparatur hat normalerweise oberste Priorität.

Dr. Frohns und ihre Kollegen haben untersucht, welche Veränderungen in den Sehzellen nun dazu führen, dass die DNA-Schäden nicht mehr repariert werden. Die Analyse der molekularen Details ergab, dass die Sehzellen ihre DNA nicht mehr auflockern können, weil spezifische molekulare Prozesse nicht mehr in Gang gesetzt werden. Die Fähigkeit, die Defekte zu erkennen, ist hingegen völlig intakt.

Mäuse lösen diesen Zielkonflikt also zugunsten des Sehens. Wenn der Erbgutfaden nämlich für die ständig anfallenden Reparaturen immer wieder aufgelockert werden müsste, könnte er nicht fortlaufend als Sammellinse benutzt werden. „Unsere Daten zeigen also, wie weit die evolutionäre Anpassung eines einzelnen Zelltyps an eine bestimmte Funktion gehen kann“, sagt Dr. Florian Frohns, der ebenfalls an den Arbeiten beteiligt war. „Um ihre Funktion als Lichtsammler so gut wie möglich zu erfüllen, nehmen diese Sehzellen sogar das Risiko der genetischen Instabilität durch nicht reparierte DNA-Schäden in Kauf.“

Die Stäbchen-Sehzelle der Maus ist der bisher einzige Zelltyp, der sich einen Defekt in der DNA-Reparatur zugunsten einer anderen Funktion leistet. Defekte in der DNA-Reparatur sind sonst nur im Zusammenhang mit Erkrankungen bekannt. Eine dieser Krankheiten ist die Ataxia teleangiectatica. Bei diesem angeborenen Leiden ist einer der Messfühler mutiert, mit dem die DNA-Schäden erfasst und repariert werden.

Die Arbeiten von Antonia Frohns und ihren Kollegen sind aber noch in anderer Hinsicht interessant. Bei der Krankheit Progeria altern die Betroffenen in Rekordzeit. Den Kranken fehlen bestimmte Proteine, wodurch sich ihre DNA – ähnlich wie die DNA in den Stäbchen-Sehzellen der Maus – in der Mitte des Zellkerns zusammenlagert. Die Sehzellen der Maus besitzen diese Proteine ebenfalls nicht. Vielleicht lassen sich aus den Ergebnissen der Darmstädter Wissenschaftler auch Erkenntnisse für die Erforschung der Progeria ziehen.

http://www.tu-darmstadt.de/vorbeischauen/aktuell/einzelansicht_96000.de.jsp

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Marina Pabst idw - Informationsdienst Wissenschaft

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