Pilze programmieren Ameisen um – schon seit Jahrmillionen

Das vermuten zumindest Forscher der Universitäten Bonn und Harvard sowie des Smithsonian-Instituts in Washington: In einem uralten Blatt-Fossil aus Messel bei Darmstadt fanden sie Bissspuren, die wahrscheinlich von einer pilzinfizierten Ameise stammen.

Die Wissenschaftler berichten in der aktuellen Ausgabe der biology letters (doi: 10.1098/rsbl.2010.0521) über ihren Fund.

Der Ameise geht es offensichtlich nicht gut: Desorientiert torkelt sie auf einem dünnen Zweig aufwärts. Dann beißen ihre zangenförmigen Kiefer zum letzten Mal zu, und sie stirbt.

Wenig später offenbart sich die Ursache ihres Leidens: Ihrem Kopf entwächst ein Pilzfaden, eine so genannte Hyphe. Dieser Pilz ist es, der die Ameise „umprogrammiert“ und in eine Art Zombie verwandelt hat. Die Hyphe wird in den nun folgenden drei Wochen immer länger. Dann bildet sich an ihrem Ende ein Fruchtkörper mit Sporen, die über die Luft verweht werden – auf der Suche nach neuen Opfern.

Die letzten Schritte der Zombie-Ameise wurden von Tierfilmern der BBC festgehalten (http://www.youtube.com/watch?v=CCOQ0VU24xw). Mehr als 300.000 Menschen haben sich den Beitrag von Wissenschafts-TV-Legende David Attenborough inzwischen angesehen. Die Episode hätte sich so aber auch vor rund 50 Millionen Jahren abspielen können. Und das nicht in fernen Regenwäldern, sondern direkt vor unserer Haustür.

Das belegt zumindest ein fossiles Blatt aus der Grube Messel bei Darmstadt. Der Bonner Paläontologe Dr. Torsten Wappler hat darauf zusammen mit Kollegen der Uni Harvard und des Smithsonian-Instituts charakteristische Mini-Löcher entdeckt. Genau dieselben Löcher findet man heute häufig in bodennahen Blättern im thailändischen Regenwald. Sie stammen von Tischlerameisen, die von einem Pilz namens Orphyocordyceps unilateralis infiziert wurden (der Attenborough-Beitrag beschreibt eine verwandte Pilzart, die auf andere Ameisen spezialisiert ist).

„Die fossilen Bissspuren stimmen in Position, Größe und Form extrem gut mit den heutigen Kieferabdrücken überein“, sagt Wappler. Haben sich also vor 50 Millionen Jahren in Messel ähnliche Dramen abgespielt wie heute in den Regenwäldern Südost-Asiens? „Mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit war das so“, bestätigt der Experte für Insekten-Fraßspuren. „Damit haben wir das erste Mal fossile Anzeichen für eine parasitische Beziehung gefunden, die mit einer Verhaltensänderung einher geht.“

Ameise als Mietwagen

Was die Infektion genau bewirkt, hat Harvard-Biologe David P. Hughes erst vor etwa einem Jahr in einer aufsehen erregenden Studie herausgefunden: Wenn Sporen von Orphyocordyceps unilateralis auf den Panzer einer Ameise gelangen, beginnen sie dort zu keimen. Die Pilzhyphen dringen in ihr Opfer ein und programmieren es um: Von ihrem Nest in der Wipfelregion steigen die kranken Tiere in die Tiefe. Zwei Handbreit über dem Boden suchen sie sich ein Blatt an der Nordseite des Baums. An seiner Unterseite verbeißen sich an einer der großen Blattvenen. Dann sterben sie.

Und was hat der Pilz davon? 25 Zentimeter über dem Boden herrschen 95 Prozent Luftfeuchte und eine Temperatur von 20 bis 30 Grad. Das sind für Orphyocordyceps ideale Lebensbedingungen, wie Professor Hughes und seine Kollegen herausfanden: Sie setzten einige der toten Ameisen in die Baumwipfel um, wo die Luftfeuchte sehr viel stärker schwankt. Außerdem kann es dort erheblich wärmer werden. In allen untersuchten Fällen stellten die Pilze daraufhin ihr Wachstum ein. Die Pilze nutzen die Ameisen also als Transportvehikel – und parken sie auch noch exakt dort, wo es ihnen selbst am besten geht.

„Unsere Studie zeigt nun, dass es diese hoch spezialisierte Form des Parasitismus schon sehr viel länger gibt als gedacht“, erläutert Wappler. Aus Sicht eines Biologen ist das extrem spannend: Zwischen Parasit und Wirt kommt es häufig zu einer Art Wettrüsten. Parasiten gelten daher als eine wichtige Triebfeder für die Evolution. Es ist das erste Mal, das Fossilien Hinweise auf eine durch Parasiten verursachte Verhaltensänderung liefern.

Zudem stützt die Arbeit eine These, für die sich in jüngerer Zeit immer mehr Belege finden: Die Regenwälder Thailands scheinen heute ähnliche Lebensbedingungen zu bieten wie Messel vor 50 Millionen Jahren.

Kontakt:
Professor Dr. Jes Rust
(Dr. Torsten Wappler ist momentan leider auf Forschungsreise in China)
Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie, Universität Bonn
Telefon: 0228/73-4842
E-Mail: jrust@uni-bonn.de

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Frank Luerweg idw

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