Partnertausch: Unerwartete Dynamik

Illustration von Martin Stei

Eine der am häufigsten untersuchten Reaktionen in der physikalischen organischen Chemie ist ist die nukleophile Substitution. Dieser Vorgang spielt eine wichtige Rolle bei der organischen Synthese, etwa bei der Herstellung von Vitaminen oder bei der Bildung von Adrenalin in lebenden Zellen.

Dabei wird eine bisher an das Molekül gebundene Gruppe oder ein einzelnes gebundenes Atom durch einen neuen Bindungspartner ausgetauscht. Der angreifende nukleophile Reaktionspartner besitzt reaktionsbereite Elektronen.

Diese ermöglichen ihm, eine Bindung zu einem zentralen Kohlenstoffatom einzugehen. Bei der damit gestarteten Austauschreaktion wird der bisherige Partner abgestoßen, während das Molekül eine neue Bindung mit dem Angreifer eingeht.

Seit mehreren Jahrzehnten versuchen Chemiker und Physiker, diese Vorgänge auf fundamentalem atomaren Niveau zu verstehen und in Laborexperimenten zu untersuchen. Nun gelang es Roland Wester und seiner Arbeitsgruppe am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck, in dieser inzwischen eigentlich als wohl verstanden geglaubten Reaktion überraschende neue Aspekte der Reaktionsdynamik zu entdecken.

In Kooperation mit der Theoriegruppe um Gabor Czako von der Universität Szeged in Ungarn wurde durch eine Kombination aus Experimenten und Simulationen erstmals klar, welche subtile Rolle der abgestoßene Partner beim dynamischen Ablauf einer solchen Austauschreaktion spielt.

Die Wissenschaftler untersuchten dazu den Austausch von negativ geladenen Halogenen an einer grundlegenden organischen Molekülstruktur, der Methylgruppe CH₃.

Wester und seine Kollegen verwendeten dazu zwei gekreuzte Strahlen, in denen einerseits die neutralen Moleküle und andererseits die angreifenden Halogen-Ionen aufeinander treffen. Die nach der Reaktion beim Zusammentreffen abgestoßenen Ionen wurden schließlich mit Detektoren analysiert, welche die Geschwindigkeiten der Reaktionsprodukte ermitteln. Jennifer Meyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Westers und eine der Koautoren des Fachartikels, betont die überraschenden Ergebnisse des Experiments:

„Im Vergleich mit numerischen Simulationen der chemischen Reaktionsdynamik wurden dabei starke Unterschiede zwischen den dynamischen Abläufen der Reaktionen je nach abgestoßenem Partner gefunden.“ Daraus lässt sich schließen, wie sehr das Halogen-Ion kurz vor der Reaktion in der Lage ist, etwa die neutralen Moleküle entweder zu seinen Gunsten auszurichten, oder eher zu inneren Schwingungen anzuregen. Insgesamt hängt also unerwartet stark vom bisherigen Partner ab, ob und auf welche Art das angreifende Ion die bestehende Beziehung aufbrechen kann.

Rückfragen:
Univ.-Prof. Dr. Roland Wester
Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik
Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 507 52620
E-Mail: Roland.Wester@uibk.ac.at

http://dx.doi.org/10.1038/nchem.2400 Influence of the leaving group on the dynamics of a gas phase SN2 reaction. Martin Stei, Eduardo Carrascosa, Martin A. Kainz, Aditya H. Kelkar, Jennifer Meyer, István Szabó, Gábor Czakó and Roland Wester. Nature Chemistry, Advance Online Publication 2015

Media Contact

Dr. Christian Flatz Universität Innsbruck

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Anlagenkonzepte für die Fertigung von Bipolarplatten, MEAs und Drucktanks

Grüner Wasserstoff zählt zu den Energieträgern der Zukunft. Um ihn in großen Mengen zu erzeugen, zu speichern und wieder in elektrische Energie zu wandeln, bedarf es effizienter und skalierbarer Fertigungsprozesse…

Ausfallsichere Dehnungssensoren ohne Stromverbrauch

Um die Sicherheit von Brücken, Kränen, Pipelines, Windrädern und vielem mehr zu überwachen, werden Dehnungssensoren benötigt. Eine grundlegend neue Technologie dafür haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bochum und Paderborn entwickelt….

Dauerlastfähige Wechselrichter

… ermöglichen deutliche Leistungssteigerung elektrischer Antriebe. Überhitzende Komponenten limitieren die Leistungsfähigkeit von Antriebssträngen bei Elektrofahrzeugen erheblich. Wechselrichtern fällt dabei eine große thermische Last zu, weshalb sie unter hohem Energieaufwand aktiv…

Partner & Förderer