Neuer Mechanismus zur Entwicklung von Zellen entschlüsselt

Luisa Cochella mit Modellorganismus C.elegans IMP/Beck

Eine Gruppe von Genen, sogenannte microRNAs, verhindern die Ausprägung anderer Gene und können so Gestalt und Funktion einzelner Zellen bestimmen. Die IMP-Forscher berichten dies in der kommenden Ausgabe des Journals “Genes & Development”.

“Unser Ausgangspunkt war eine interessante Beobachtung beim Fadenwurm C. elegans”, erklärt Luisa Cochella vom IMP. “Wir bemerkten, dass das Gen mir-791 nur in bestimmten Nervenzellen aktiv ist. Diese Nervenzellen werden benötigt, um Kohlendioxid zu riechen.” Der winzige Fadenwurm ist ein beliebtes Modellsystem für Biologen, weil seine Anatomie und Körperfunktionen sehr genau beschrieben sind und leicht unter dem Mikroskop beobachtet werden können.

“Riechen” die Fadenwürmer in ihrer Umgebung Kohlendioxid, das für sie gefährlich ist, so versuchen sie dem auszuweichen. Dazu führen sie bestimmte, reflexhafte Bewegungen aus. Wenn die molekularen Vorgänge der Sinnesreizung in Nervenzellen defekt sind, dann spiegelt sich dies so in einem leicht messbaren Verhaltensdefekt wider, und kann damit indirekt beobachtet werden. Besonders wichtig für die Experimente war die enge Zusammenarbeit zwischen den Forschungsgruppen des IMP. “Methoden, um das Verhalten der Würmer und die Prozesse der Sinnesreizung in Zellen zu erfassen und zu quantifizieren, sind in meinem Labor seit langem etabliert”, erklärt dazu Manuel Zimmer, der für die Studie mit der Arbeitsgruppe um Luisa Cochella kooperierte.

Würmer, denen mir-791 entfernt wurde, nahmen Kohlendioxid nicht mehr richtig wahr. In normalen Würmern verhindert mir-791 die Expression von zwei Genen, die ansonsten in praktisch allen Zellen des Wurms aktiv sind – vermutlich, weil sie wichtig für allgemeine Zellfunktionen sind. Man nennt solche Gene auch Haushaltsgene. Wahrscheinlich aber stören diese Gene die Mechanismen der Sinnesreizung durch Kohlendioxid. Sie werden in den entsprechenden sensorischen Zellen also unterdrückt, um deren Funktion zu erlauben.

Wie die Eigenschaften von Zellen im Lauf ihrer Entwicklung festgelegt werden, ist keine triviale Detailfrage – entsprechende Mechanismen sind dafür verantwortlich, wie Zelllinien unterschiedliche Zelltypen hervorbringen und letztlich Organismen bilden. Die Studie der IMP Forscher zeigt nun, dass nicht nur die Aktivierung bestimmter Gene Eigenschaften bestimmen kann, sondern auch die gezielte Unterdrückung von Haushaltsgenen, die ansonsten in praktisch allen Zellen vorkommen. Wie dies passiert, war bisher rätselhaft.

Spannend sind die Ergebnisse nicht nur für Entwicklungsbiologen. Auch für die Evolution von Arten könnte der Mechanismus wichtig sein: microRNAs verändern sich schneller als die größeren, Protein-codierenden Gene. Möglicherweise sind sie essenziell, um Arten die rasche Anpassung an veränderte Umweltbedingungen zu ermöglichen.

Originalpublikation

Tanja Drexel, Katharina Mahofsky, Richard Latham, Manuel Zimmer & Luisa Cochella: Neuron-type specific miRNA represses two broadly expressed genes to modulate an
avoidance behavior in C. elegans. Advance online Publikation in Genes & Dev., 29. September 2016. doi: 10.1101/gad.287904.116

Illustration

Eine Illustration zur Aussendung finden Sie unter
http://www.imp.ac.at/pressefoto-Cochella
Legende: Luisa Cochella untersucht am Fadenwurm, welche Gene die Identität von Zellen bestimmen. Im Mikroskop sind die Zellen erkennbar, mit denen die Würmer Kohlendioxid „riechen“. © IMP/Beck

Über Luisa Cochella

Luisa Cochella untersucht, wie die Expression von Genen gesteuert wird, um Zellen im Lauf der Entwicklung bestimmte Eigenschaften zuzuweisen. Dafür arbeitet sie mit dem winzigen Fadenwurm C. elegans. Dieser Wurm ist als Modell bei Entwicklungsbiologen sehr beliebt, weil er aus relativ wenigen Zellen besteht und einfach beobachtet und für Experimente manipuliert werden kann.
Luisa Cochella stammt aus Argentinien und hat dort an der Universidad de Buenos Aires studiert, ehe sie an der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore (USA) promovierte. Nach einem Post-Doc Forschungsaufenthalt an der Columbia University in New York wurde sie 2013 Leiterin einer Arbeitsgruppe am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien.

Über Manuel Zimmer

Der Neurobiologe Manuel Zimmer studiert die Funktionen neuronaler Netzwerke im Gehirn, die Empfindungen, Gedanken und Verhalten zugrunde liegen. Er erforscht dies ebenfalls am einfach aufgebauten Fadenwurm C. elegans. Der in Deutschland gebürtige Manuel Zimmer hat an der Freien Universität Berlin studiert und am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg sowie am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in München promoviert. Nach einem Post-Doc Aufenthalt an der University of California San Francisco und der Rockefeller University in New York wurde er 2010 Gruppenleiter am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien.

Über das Institut für Molekulare Pathologie (IMP)

Das Institut für Molekulare Pathologie (IMP) betreibt in Wien biomedizinische Grundlagenforschung. Hauptsponsor ist der internationale Unternehmensverband Boehringer Ingelheim. Mehr als 200 Forscherinnen und Forscher aus 35 Nationen widmen sich am IMP der Aufklärung grundlegender molekularer und zellulärer Vorgänge, um komplexe biologische Phänomene im Detail zu verstehen. Die bearbeiteten Themen umfassen die Gebiete der Zell- und Molekularbiologie, Neurobiologie, Krankheitsentstehung sowie Bioinformatik. Das IMP ist Gründungsmitglied des Vienna Biocenter.

Kontakt

Dr. Benedikt Mandl
IMP – Communications
Tel. +43 1 79730 3627
benedikt.mandl@imp.ac.at

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