Neue Nervenzellen im Alter

Neuronale Stammzellen im Gehirn der Maus können auch noch im Alter neue Nervenzellen hervorbringen. Bild: Verdon Taylor (aus: Lugert et al., Cell Stem Cell, 7. Mai 2010)<br>

Nie besitzt das Gehirn so viele Nervenzellen wie zum Zeitpunkt der Geburt – die meisten Nervenzellen werden vor der Geburt gebildet, danach werden viele überschüssige Neurone abgebaut. Allerdings gibt es auch im Alter noch teilungsfähige Zellen – zumindest im Gehirn von Mäusen.

Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie in Freiburg zufolge existieren unterschiedliche Typen von neuronalen Stammzellen, die neue Nervenzellen hervorbringen können. Während sie sich bei jungen Tieren fortlaufend teilen und so neue Nervenzellen entstehen, verharrt ein großer Teil bei älteren Tieren in einem Ruhzustand. Die Produktion neuer Zellen kann jedoch wieder aktiviert werden, beispielsweise durch körperliche Aktivität oder epileptische Anfälle. Was bei Mäusen gilt, könnte auch auf den Menschen zutreffen, denn auch im menschlichen Gehirn kommen teilungsfähige Nervenzellen bis ins Erwachsenenalter vor. (Cell Stem Cell, 7. Mai 2010)

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Getreu diesem Sprichwort war man lange Zeit der Ansicht, dass das Gehirn mit zunehmendem Alter an Lern- und Gedächtnisfähigkeit verliert. Im Hippocampus – einer Region, die für Lernen und Gedächtnis eine zentrale Rolle spielt – gibt es jedoch neuronale Stammzellen, die zeitlebens neue Nervenzellen hervorbringen können. Aus Untersuchungen mit Mäusen weiß man, dass die neu gebildeten Zellen in die bestehenden Netzwerke integriert werden und für die Lernfähigkeit der Tiere wichtig sind. Allerdings nimmt die Bildung neuer Zellen im Alter ab. Die Gründe dafür waren bislang unbekannt

Zusammen mit Kollegen aus Dresden und München haben die Freiburger Forscher jetzt erstmals eine Erklärung dafür gefunden, warum im erwachsenen Mäusegehirn weniger neue Nervenzellen gebildet werden. Sie konnten nämlich verschiedene Populationen von neuronalen Stammzellen identifizieren. Demnach besitzt der Hippocampus aktive und ruhende, inaktive neuronale Stammzellen. „Bei jungen Mäusen teilen sich die Stammzellen vier Mal häufiger als bei älteren Tieren, die Anzahl an Zellen ist im Alter jedoch nur geringfügig niedriger. Neuronale Stammzellen verschwinden also im Alter nicht, sondern sie werden weiter vorrätig gehalten“, erklärt Verdon Taylor vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie.

Welche Einflüsse die ruhenden Stammzellen wieder aktivieren, wissen die Forscher noch nicht genau. Die Zellen können aber wieder zur Teilung angeregt werden. So beobachteten die Wissenschaftler in körperlich aktiven Mäusen mehr neue Hippocampus-Neurone. „Rennen fördert also die Neubildung von Nervenzellen“, sagt Verdon Taylor. Auch krankhafte Gehirnaktivität, wie sie während epileptischer Anfälle auftritt, regt die Stammzellen zur Teilung an.

Horizontale und radiale Stammzellen

Die Stammzell-Populationen lassen sich im Mikroskop gut unterscheiden. Die erste Gruppe besteht aus Zellen, die senkrecht zur Hippocampus-Oberfläche positioniert sind. Diese radialen Stammzellen befinden sich größtenteils im Ruhestadium. In der Gruppe der horizontalen Stammzellen – Zellen, die parallel zur Hippocampus-Oberfläche ausgerichtet sind – bilden dagegen über 80% laufend neue Zellen, die restlichen 20% ruhen. Gemeinsam ist allen, dass Gene wie Notch, RBP-J und Sox2 aktiv sind.

Radiale und horizontale Stammzellen sind jedoch nicht nur anders angeordnet, sie reagieren offenbar auch anders. Manche der radialen Stammzellen verlassen ihr Ruhestadium und beginnen sich zu teilen, wenn die Tiere körperlich aktiv sind. Auf die horizontalen Stammzellen hat dies dagegen einen geringen Einfluss. Deshalb teilen sich bei den aktiven Mäusen mehr radiale Stammzellen. Epileptische Anfälle dagegen beeinflussen auch die horizontalen Stammzellen.

Neuronale Stammzellen gibt es offenbar nicht nur im Mäusegehirn. Auch beim Menschen sind im Hippocampus Nervenzellen nachgewiesen worden, die dort im Laufe des Lebens gebildet werden. Wissenschaftler vermuten deshalb, dass auch im menschlichen Gehirn unterschiedliche Typen von aktiven und inaktiven Stammzellen vorkommen. Möglicherweise können inaktive Stammzellen auch beim Menschen in ähnlicher Weise wie bei den Mäusen aktiviert werden. „Es gibt Hinweise darauf, dass die übermäßige Bildung neuer Nervenzellen bei Epilepsie eine Rolle spielt. Vielleicht können neuronale Stammzellen des Gehirns eines Tages auch zur Behandlung von Gehirnverletzungen oder degenerativen Erkrankungen wie Alzheimer eingesetzt werden“, hofft Verdon Taylor.

Originalveröffentlichung:

Sebastian Lugert, Onur Basak, Philip Knuckles, Ute Haussler, Klaus Fabel, Magdalena Götz, Carola A. Haas, Gerd Kempermann, Verdon Taylor, Claudio Giachino
Quiescent and active hippocampal neural stem cells with distinct morphologies respond selectively to physiological and pathological stimuli and ageing

Cell Stem Cell, 7. Mai 2010

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Verdon Taylor
Max-Planck-Institut für Immunbiologie, Freiburg
Tel.: +49 761 5108 487
E-Mail: taylor@immunbio.mpg.de

Media Contact

Barbara Abrell Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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