Neue Möglichkeiten für eine gezielte pharmakologische Intervention bei Immunkrankheiten

Allergien, Asthma oder Rheuma sind Krankheiten, die nicht nur die Lebensqualität erheblich einschränken, sondern auch lebensbedrohlich sein können. Ihnen gemein ist eine Überreaktion des Immunsystems auf körperfremde Erreger oder im Fall von Autoimmunerkrankungen auf körpereigene und vermeintlich als fremd erkannte Stoffe.

Die Folge sind häufig überschießende Abwehrreaktionen des Körpers, die mit der vermehrten Einwanderung weißer Blutzellen, sog. Leukozyten, in den Entzündungsherd einhergehen. Die Leukozyten produzieren ihrerseits Botenstoffe, die primär der Bekämpfung des Erregers dienen, häufig jedoch auch entzündliche Prozesse verstärken.

Die Arzneimittel, die im Augenblick gegen immunologische Erkrankungen eingesetzt werden, unterdrücken diese Immunantwort, wodurch eine Linderung der Symptomatik mit einer Schwächung des Immunsystems, einer Immunsuppression, einhergeht. Dies führt zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen und begünstigt langfristig sogar die Tumorbildung. Deshalb wird intensiv nach neuen Strategien für einen differenzierten Eingriff in das Immunsystem geforscht.

In einer kürzlich veröffentlichten Arbeit** gelang es erstmals, Unterschiede in den Aktivierungsprozessen eines Schlüsselenzyms der zellulären Immunantwort, der Phosphoinositid 3-Kinase-gamma (PI3K-gamma), aufzudecken. Diese Befunde zeigen erstmalig, dass PI3K-gamma in einem Leukozyten zeitlich und räumlich voneinander getrennt unterschiedliche Abwehrreaktionen steuern kann. Diese neue Erkenntnis über divergierende Regulationswege der PI3K-gamma weist den Weg für neue Strategien, gezielt mit Wirkstoffen spezifische Funktionen des Leukozyten zu beeinflussen. Somit könnten möglicherweise Überreaktionen des Immunsystems verhindert werden, ohne dass es gleichzeitig zu einer Immunsuppression kommt.

Während der Immunantwort reguliert die PI3K-gamma vielfältige Abwehrmechanismen, die zur Einwanderung der Leukozyten in den Entzündungsherd, zur Freisetzung toxischer Sauerstoffradikale und anderer Botenstoffe und letztendlich zur Phagozytose und Abtötung des Erregers führen. Infolgedessen weisen Mäuse, bei denen das Gen für PI3K-gamma inaktiviert wurde, starke Defekte der Immunabwehr auf. Gleichzeitig zeigte sich aber in Krankheitsmodellen der rheumatoiden Arthritis, des systemischen Lupus erythematodes oder der Atherosklerose, dass der Verlust der PI3K-gamma-Aktivität zu einem teilweise sogar vollständigen Stillstand des Krankheitsverlaufs führt. Aufgrund dieser Befunde wird die PI3K-gamma als erfolgversprechende Zielstruktur für die Entwicklung neuer Wirkstoffe gegen chronische Entzündungen angesehen.

Erschwert wird die Suche nach PI3K-gamma-basierten Entzündungshemmern jedoch durch die Tatsache, dass die PI3K-gamma neben ihrer dominanten immunologischen Rolle auch wichtige Funktionen in anderen Zellen, z.B. des Herz-Kreislaufsystems übernimmt. Es ist deshalb zu befürchten, dass PI3K-gamma-Inhibitoren auch andere Körperfunktionen beeinträchtigen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen hervorrufen. Deshalb ist eine differenzierte Hemmung dieses zellulären Signalgebers erforderlich.

Wissenschaftler um Dr. Barbara Kurig und Professor Bernd Nürnberg am Universitätsklinikum Tübingen haben nun entdeckt, dass es hierfür tatsächlich eine molekulare Grundlage gibt, die eine weitaus selektivere Hemmung von PI3K-Signalen ermöglichen könnte. Die PI3K-gamma ist ein Proteinkomplex, der sich aus einer katalytischen sowie einer regulatorischen Untereinheit, der p101 bzw. der erst kürzlich beschriebenen p87, zusammensetzt. Die Entdeckung dieser zweiten Untereinheit ließ vermuten, dass p87 und p101 für verschiedene Effekte der PI3K-gamma verantwortlich sein könnten. Jedoch wurde bislang vergeblich nach Anhaltspunkten hierfür gesucht.

Die Tübinger Wissenschaftler zeigen in ihrer jüngsten Publikation, dass beide regulatorischen PI3K-gamma-Untereinheiten über unterschiedliche Mechanismen gesteuert werden. Sie entdeckten, dass dem Protoonkogen Ras eine essentielle Funktion bei der Aktivierung des p87-, nicht jedoch des p101-Dimers der PI3K zukommt. In der Allergie hat dies z.B. bei Mastzellen zur Folge, dass Ras die PI3K-gamma-vermittelte Histamin-Freisetzung aktiviert. Diese neue Rolle von Ras für die selektive Regulation der PI3K-gamma

ist insofern überraschend, da Ras bisher eher als ein zentraler Schalter für Wachstumsprozesse bekannt war.

Auf Basis ihrer Erkenntnisse untersucht die Forschergruppe um Dr. Kurig und Professor Nürnberg nun, welche Immunfunktionen von PI3K-gamma Ras-vermittelt oder aber unabhängig von dem Protoonkogen gesteuert werden. Die Wissenschaftler haben die Hoffnung, dass aufgrund der unterschiedlichen PI3K-gamma-Regulation neue Ansätze eines differenzierten pharmakologischen Eingriffs in bestimmte Immunprozesse oder andere PI3K-gamma-Funktionen entwickelt werden können. Ziel sind potentere Medikamente, die zugleich besser verträglich als die derzeit verfügbaren Arzneimittel sind.

Ansprechpartner für nähere Informationen

Universitätsklinikum Tübingen
Abteilung Pharmakologie und Experimentelle Therapie
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie und
Interfakultäres Zentrum für Pharmakogenomik und Arzneimittelforschung (IZePhA)
Wilhelmstrasse 56, D-72074 Tübingen
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Bernd Nürnberg
Tel. 07071/29-7 22 67 / -7 45 90
Fax 07071/29-49 42
bernd.nuernberg@uni-tuebingen.de
** Titel der Originalpublikation
Kurig B., Shymanets A., Bohnacker T., Prajwal, Brock C., Ahmadian M.R., Schaefer M., Gohla A., Harteneck C., Wymann M.P., Jeanclos E., Nürnberg B. (2009):

Ras is an indispensable co-regulator of the class IB phosphoinositide 3-kinase p87/p110?. Proc. Natl. Acad. Sci. USA, 106 , 20312-20317

DOI: www.pnas.org_cgi_doi_10.1073_pnas.0905506106

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Dr. Ellen Katz idw

Weitere Informationen:

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