Neue Hinweise auf molekulare Prozesse der Alzheimer-Krankheit

Das Chaperonin Hsp60 unterstützt die β-Membraneninteraktion: Neutralisierung toxischer β-Arten vermeidet Membranenversteifung und die Entstehung von β-Fibrillation. Quellenangabe: Dr. R. Carrotta & Dr. S. Vilasi, CNR Italien.

Alzheimer ist eine chronische neurodegenerative Erkrankung, die das Gedächtnis, die Denkfähigkeit und andere geistige Fähigkeiten beeinträchtigt. Eines der charakteristischen Merkmale der Krankheit ist das Vorhandensein von Amyloid-Plaques, die sich zwischen den Nervenzellen im Gehirn ansammeln.

Wissenschaftler haben jetzt Neutronenexperimente verwendet, um die toxische Wirkung von Amyloidarten zu untersuchen, die bei der Bildung von Amyloid-Plaques entstehen. Dabei haben sie entdeckt, dass diese Arten eine zunehmende Versteifung in Membranmodellsystemen verursachen und dass bestimmte Proteine sowohl den Aggregationsprozess als auch dessen Effekt auf die Membran hemmen können. Dies führte vor kurzem zu einer Veröffentlichung im Journal of Physical Chemistry.

Das Projekt baut auf früheren Arbeiten verschiedener Gruppen auf und kombiniert das Fachwissen von Biophysikern des Istituto de Biofisica (IBF-CNR, Italien), der Università Politecnica delle Marche (Ancona, Italien), der Université Grenoble Alpes und des Institut Laue-Langevin (ILL, Frankreich).

„Wir befassen uns hier am IBF-CNR in Palermo bereits seit zwei Jahrzehnten mit der Amyloid-β-Peptid-Aggregation aus biophysikalischer Perspektive“, erklärt Dr. Rita Carrotta, Wissenschaftlerin am IBF-CNR, Italien, und Mitverfasserin des Artikels. Amyloid-β-Peptide sind Proteinfragmente, die vom Körper natürlich produziert werden. Im Gehirn eines Alzheimer-Patienten bilden sich aus verschiedenen Gründen toxische Amyloid-β-Oligomere und Fasern, die die normale Gehirnfunktion beeinträchtigen und schließlich unlösliche Plaques formen.

Als Teil eines vom italienischen Bildungs-, Universitäts- und Forschungsministerium finanzierten Projekts (Future in Research Program, „Multidisciplinary Investigations for the development of Neuro-protective Drugs“), das von Dr. Maria Grazia Ortore von der Università Politecnica delle Marche und Dr. Silvia Vilasi vom IBF-CNR koordiniert wird, hatten die italienischen Wissenschaftler bereits zuvor eine spezifische Gruppe von Proteinen identifiziert, die als Chaperonine bekannt sind. Dabei waren sie speziell am Hitzeschockprotein Hsp60 interessiert, das die Amyloid-Aggregation hemmen kann.

Chaperonine werden so genannt, weil sie als molekulare Chaperone fungieren, die Proteinen helfen, ihre korrekte Faltung beizubehalten, so dass sie sich korrekt benehmen. Hsp60, das im menschlichen Körper gefunden wird und in verschiedenen Krankheiten eine Rolle spielt, scheint besonders effektiv dabei zu sein, das Ansammeln von Amyloiden und die daraus entstehenden Schäden an Zellmembranen zu verhindern.

„Wir wollten mehr über die hemmenden Effekte von Hsp60 herausfinden, und daher nutzten wir Neutronenexperimente, um seine molekularen Interaktionen näher zu betrachten“, erklärt Dr. Rita Carrotta. Die Forscher versammelten ein Team mit Dr. Marco Maccarini von der Université Grenoble Alpes und den ILL-Wissenschaftlern Dr. Ralf Schweins und Dr. Peter Falus, um anhand von Kleinwinkel-Neutronenstreuungs- und Neutronen-Spin-Echo-Experimenten die Effekte von Amyloid-β-Peptiden auf Zellmembranen zu untersuchen.

Neutronen-Spin-Echo ist eine Methode für spektroskopische Messungen. Durch den Beschuss eines Materials mit Neutronenstrahlen und die genaue Analyse der Geschwindigkeit der zerstreuten Neutronen lassen sich Aufschlüsse über die dynamischen Eigenschaften des Materials gewinnen.

Beobachtungen der Vibrationen, Drehungen und Bewegungen von Atomen und Molekülen decken Informationen auf, die mit anderen Methoden oft nicht zu finden sind. In diesem Fall verwendeten die Forscher Neutronen-Spin-Echo, um die Membranensteifigkeit auf molekularer Ebene zu messen.

„Neutronen-Spin-Echo ist eine hochempfindliche Spektroskopiemethode“, so Dr. Peter Falus. „Wir können damit die Biegesteifigkeit von Membranen auf atomarem Maßstab feststellen. Diese Messung mit ILL-Instrument IN15 könnte auf keinem anderen Instrument der Welt vorgenommen werden.“

Die Wissenschaftler generierten Vesikel, um Membranmodellsysteme aufzubauen. Vesikel sind kleine, mit Flüssigkeit gefüllte Kammern, die von einer Membran umgeben sind und menschlichen Zellen ähneln. Die Vesikelmembranen enthielten dabei Lipidkomponenten, die für die Interaktion mit Amyloid-β-Peptiden relevant sind.

Als Nächstes fügten die Forscher Amyloid-β-Peptide und Übergangsformen aus dem Amyloid-Aggregationspfad zu den Vesikeln hinzu. Dabei stellten sie fest, dass diese Amyloid-β-Peptidarten die Vesikelmembranen versteiften, was darauf hinweist, dass sie in lebenden Zellen zu Schäden führen können.

Wenn diese Moleküle jedoch zusammen mit dem Chaperonin Hsp60 hinzugefügt wurden, behielten die Membranen ihre Elastizität bei. Das Vorhandensein selbst winziger Mengen von Chaperonin war ausreichend, um Schäden an den Membranen zu verhindern.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Chaperonin Hsp60 mit Amyloid-β-Peptiden und Übergangsmolekülen interagiert, was den Aggregationsprozess stört und letztlich die Bildung von Plaques verhindert. Die Chaperonine fungieren also effektiv als Helfer in der Zelle, welche die reaktiven Moleküle einfangen, bevor sie Schäden anrichten können.

Der Amyloid-Aggregationspfad ist jedoch äußerst komplex und es werden weitere Untersuchungen erforderlich sein, um genau festzustellen, wie die Moleküle miteinander interagieren. „Der nächste Schritt ist eine Betrachtung der molekularen Mechanismen, mit denen Hsp60 in den Aggregationsprozess eingreift und Schäden an der Membran verhindert“, sagt Dr. Rita Carrotta.

ILL-Instrumente: IN15, das Spin-Echo-Spektrometer, und D11, das Kleinwinkel-Neutronenstreuungsinstrument mit der niedrigsten Impulsübertragung und dem geringsten Hintergrund

Bildunterschrift: Das Chaperonin Hsp60 unterstützt die β-Membraneninteraktion: Neutralisierung toxischer β-Arten vermeidet Membranenversteifung und die Entstehung von β-Fibrillation. Quellenangabe: Dr. R. Carrotta & Dr. S. Vilasi, CNR Italien.

Re. J. Phys. Chem. B, 2019, 123 (3), pp 631-638

DOI: 10.1021/acs.jpcb.8b11719

https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.jpcb.8b11719

Über ILL – Das Institut Laue-Langevin (ILL) ist ein internationales Forschungszentrum in Grenoble, Frankreich. Es ist seit fast 40 Jahren weltweit führend auf dem Gebiet der Neutronenstreuung, seit Experimente im Jahre 1972 begannen. ILL betreibt eine der intensivsten Neutronenquellen der Welt. Diese liefert Neutronenstrahlen an eine Suite von 40 Hochleistungsinstrumenten, die ständig auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden. Jedes Jahr besuchen 1.200 Forscher aus über 40 Ländern das ILL, um Untersuchungen in Feldern wie Festkörperphysik, (ökologische) Chemie, Biologie, Kernphysik und Materialwissenschaften durchzuführen. Zusammen mit Frankreich und Deutschland ist Großbritannien ein Partner und wesentlicher Geldgeber des ILL.

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