Neue Fadenwurm-Art von Tübinger Wissenschaftlern auf La Réunion entdeckt

Auf derartigen Feigen, die in den herunterhängenden Wurzeln des Feigenbaumes wachsen, wurden die Würmer gefunden (Ficus mauritiana, La Réunion). Matthias Herrmann / Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie

Das Team um Prof. Ralf Sommer, Direktor der Abteilung Evolutionsbiologie am MPI für Entwicklungsbiologie, hat eine neue Art von Nematoden, sogenannte Fadenwürmer, beschrieben, die sich dadurch auszeichnen, dass sie im Inneren von wilden Feigen leben und als blinde Passagiere mit Feigenwespen über die Bestäubung immer wieder in neue Feigenblüten gelangen. Pristionchus borbonicus wurde diese neue Nematoden-Art genannt, nach der Île Bourbon, wie La Réunion bis 1848 hieß.

Zu ihrer großen Überraschung fanden die Forscher heraus, dass die vielen kleinen Würmer, die sie aus den Feigen erhalten hatten, fünf unterschiedliche Mundformen aufwiesen, sodass man sie anfänglich für mehrere verschiedene Arten gehalten hatte.

In der klassischen Morphologie, also die Lehre von Struktur und Form von Organismen, werden Arten unter dem Mikroskop betrachtet und anschließend beschrieben. Nur durch die Sequenzierung der Genome mit neuester Technologie ist es den Tübinger Wissenschaftlern gelungen, die fünf verschiedenen Mundformen einer einzelnen Art, nämlich dem neu beschriebenen Pristionchus borbonicus, zuzuordnen.

Dies ist ein extremes Beispiel für Evolution innerhalb einer Art und für Formenreichtum bei genetischer Gleichheit. Interessanterweise fanden die Forscher Fadenwürmer derselben Gruppe auch noch in Feigen aus Vietnam und Südafrika, was darauf hindeutet, dass die Bindung an Feigen ein weit verbreitetes Phänomen ist.

„Die vielen Formen von Pristionchus borbonicus, die wir jetzt gefunden haben, sind auf unterschiedliche Nahrungsquellen spezialisiert. Das heißt, sie besetzen als Bakterienfresser, Hefefresser oder Räuber anderer Fadenwürmer unterschiedliche ökologische Nischen im Inneren der Feige“, erklärt Ralf Sommer. „Mit diesem Team von Spezialisten hat sich die Art ein richtig großes Nahrungsspektrum erschlossen und kann so auf Schwankungen im Nahrungsangebot schnell reagieren.“

Bisher war bekannt, dass die Gattung Pristionchus, mit der Ralf Sommer und seine Mitarbeiter schon lange arbeiten, auf Käfern leben und dort, je nach Nahrungsangebot, zwei unterschiedliche Mundformen ausbilden können. Dadurch entwickelt der Wurm entweder ein kurzes, breites oder ein langes, dünnes Maul. Die Breitmaul-Variante mit einem charakteristischen Zahn ist für Raubzüge geeignet. Die schmalen Mundwerkzeuge dienen dagegen bevorzugt dem Abgrasen bakterieller Nahrung. Welchen der beiden Entwicklungswege eine Pristionchus-Larve einschlägt, entscheiden dabei nicht die Gene, sondern die Umwelt.

Die kleine Feigenfrucht erweist sich damit einmal mehr als ein hoch komplexes, ko-evolviertes Ökosystem, das über die Feigenwespe zuverlässig von zahlreichen Bakterien, Hefen und anderen Einzellern sowie offenbar auch von diversen Fadenwurmarten besiedelt wird. Die Rolle, die Pristionchus borbonicus in diesem System spielt, ist ein äußerst spannender Forschungsgegenstand für die Tübinger Wissenschaftler. Sie planen bereits ihre nächste Reise nach La Réunion, um weitere Feigenarten und Nematoden zu finden.

Originalpublikation:
Susoy et al. Science Advances 2016;2:e1501031 (15 January 2016)

Media Contact

Nadja Winter Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie

Weitere Informationen:

http://www.fml.mpg.de

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