Molekulare Baumeister der Blutgefäße

Wissenschaftler der Universität Potsdam und des Exzellenzclusters REBIRTH (Von Regenerativer Biologie zu Rekonstruktiver Therapie) an der Medizinischen Hochschule Hannover haben neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie Blutgefäße entstehen und geformt werden.

Die Gruppe um den Entwicklungsbiologen Prof. Dr. Salim Seyfried untersuchte dabei das Wechselspiel zwischen biophysikalischen und molekularen Einflüssen. Mechanische Reize, genetische Faktoren und die Regulation bestimmter Proteine sind für die Neubildung von Gefäßen und für ihre Funktion entscheidend. Die Wissenschaftler konnten nun zeigen, über welchen Mechanismus die beteiligten Moleküle miteinander agieren. Ihre Ergebnisse publizierten die Forscher im renommierten Fachmagazin Developmental Cell.

Arterien und Venen durchziehen den gesamten Körper und transportieren, angetrieben vom Herzen, Blut zu Organen und Geweben. Dabei gleichen diese Blutgefäße einem komplexen Flusssystem, mit mäandrierenden großen Strömen, kleineren Bächen und Rinnsalen. Der Lauf der Blutgefäße ist nicht immer festgefügt und kann sich im Laufe des Lebens ändern.

Nämlich dann, wenn der Bedarf für Blutversorgung steigt. Neue Blutgefäße entstehen dann aus bereits vorhandenen Blutgefäßen in einem Prozess, der als Angiogenese bezeichnet wird. Marc Renz, Dr. Cécile Otten und andere Forscher der Arbeitsgruppe um Prof. Salim Seyfried haben untersucht, von welchen Faktoren die Bildung neuer Gefäße während der Angiogenese abhängt.

„Mechanischer Stress, der durch Blutstrom auf Blutgefäße einwirkt, aktiviert die Expression eines Proteins namens Krüppel like factor 2 (KLF2)“, erklärt Salim Seyfried. KLF2 wird in den Zellen der großen Blutgefäße, wo der Blutfluss schnell und der Blutdruck hoch ist, in großer Menge produziert. Hier sorgt es dafür, dass diese Gefäße stabilisiert werden und keine Änderungen der Blutgefäße erfolgen.

Die Gruppe um Seyfried hat nun in einer neuen Arbeit an Zebrafischembryonen überraschende Hinweise dafür gefunden, wie KLF2 gesteuert wird und dass dieses Protein in Regionen mit schwachem Blutfluss eine komplett gegensätzliche Funktion ausüben kann. „Hier kommen weitere Proteine ins Spiel, nämlich die CCM-Proteine“, so der Forscher.

Cerebral cavernous malformations steckt hinter der Abkürzung CCM. Der Begriff steht für eine seltene Krankheit, in deren Verlauf Patienten charakteristische Veränderungen von Blutgefäßen des Gehirns ausbilden, die als zerebrale kavernöse Malformationen bezeichnet werden. Denn fallen die CCM-Eiweiße aufgrund von Mutationen aus, bilden kleine Kapillaren im Gehirn Wucherungen. Es entstehen brombeerförmige Verwachsungen, die undicht sind, was zu Blutungen führen kann. Schwere neurologische Ausfälle und Schlaganfälle können die Folge sein.

Die Arbeiten am Zebrafisch legen nun nahe, dass CCM-Proteine die Produktion von KLF2 regulieren. „Fehlen CCM-Proteine, wird die Produktion von KLF2 im gesamten Blutgefäßsystem aktiviert, egal ob ein mechanischer Reiz durch Blutfluss vorhanden ist oder nicht“, so Seyfried. Eine große Überraschung dieser Studie ist, dass große Mengen von KLF2 nicht notwendigerweise nur stabilisierend wirken müssen, sondern im Gegenteil, in kleinen Blutgefäßen auch schädigend agieren können: KLF2 treibt dann ein unkontrolliertes Gefäßwachstum an.

Die große Herausforderung liegt nun darin, herauszufinden, auf welche Weise KLF2 diese sehr unterschiedlichen Funktionen in Blutgefäßen ausübt, kommentieren die Forscher. Sie hoffen, dass ein besseres Verständnis dafür, wie normales Blutgefäßwachstum kontrolliert wird, sowohl für zukünftige Behandlungstherapien krankhafter Prozesse als auch für Regenerationsbehandlungen wichtig werden wird.

Die Publikation „Regulation of ß1 Integrin-Klf2-mediated angiogenesis by CCM proteins“ ist online unter www.cell.com/developmental-cell/  verfügbar.

Kontakt: Prof. Dr. Salim Seyfried, Institut für Biochemie und Biologie
Telefon: 0331 977-5540/5541
E-Mail: salim.seyfried@uni-potsdam.de

Medieninformation 27-01-2015 / Nr. 008
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Heike Kampe

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