Mikroorganismen haben beachtlichen Anteil an der Umsetzung halogenorganischer Verbindungen

Schematische Darstellung des mikrobiellen Kreislaufs von Halogenverbindungen im Boden. Xorg: halogenorganische Stoffe, Xin: anorganische Halogene wie Chlor oder Brom. Abbildung: Weigold, Kappler, Behrens/Universität Tübingen

Bekannt sind sie als Schadstoffe, die zum Beispiel in der Industrie als Entfettungsmittel oder in der chemischen Reinigung von Textilien Verwendung finden und schließlich ins Grundwasser gelangen: halogenorganische Verbindungen wie Perchlorethylen und Trichlorethen.

Flüchtige Verbindungen aus dieser Gruppe wie Chlormethan beeinflussen die Chemie der Atmosphäre, sie bauen Ozon ab und beeinträchtigen dadurch auch das Erdklima. Lange nahm man an, dass halogenorganische Verbindungen nur durch Aktivitäten des Menschen entstehen.

Doch in den vergangenen Jahren haben Wissenschaftler mehr als 5.000 natürlich auftretende Verbindungen aus dieser Stoffgruppe identifiziert und Hinweise gefunden, dass sie durch mikrobielle Aktivitäten im Boden entstehen. Dem ging ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Professor Andreas Kappler vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Universität Tübingen und Professor Sebastian Behrens, der mittlerweile an der University of Minnesota forscht, genauer nach.

Die Forscher untersuchten den gesamten Genbestand eines unberührten Waldbodens in Tübingen, um die Arten, Menge und Verteilung von Mikroorganismen zu erfassen, die in der Lage sind, halogenorganische Verbindungen umzusetzen. Bei Bakterien, Pilzen und Archaeen, einer Art Urbakterien, wurden sie fündig: Sie entdeckten eine bisher ungeahnte Vielfalt an Enzymen, die solche Verbindungen auf- und abbauen können. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal Scientific Reports veröffentlicht. Die Erkenntnisse können in der Atmosphärenchemie, bei der Beurteilung des Weltklimas sowie bei der Altlastensanierung von Böden eine Rolle spielen.

Die Annahme, dass Halogene wie Chlor und Brom chemisch träge sind und die meisten halogenorganischen Verbindungen im Boden menschengemacht, gilt als überholt. „Die Halogenierung und Dehalogenierung organischer Verbindungen gehören zum normalen Stoffkreislauf im Boden“, sagt Andreas Kappler. „Diese Prozesse werden größtenteils von Mikroorganismen gesteuert.“

Zwar seien einzelne mikrobielle Halogenierungsreaktionen seit Jahrzehnten bekannt gewesen, auch habe man vom Menschen produzierte halogenierte Schadstoffe teilweise mithilfe von Mikroorganismen dehalogeniert und dadurch entgiftet. Doch bisher gebe es kaum Studien, die Aussagen über die vorhandenen spezifischen mikrobiellen Gene und den Umfang dieser Reaktionen in der natürlichen Umwelt zulassen.

Bei ihrer Studie isolierten die Wissenschaftler nicht einzelne Organismen aus dem Waldboden, sondern erfassten sozusagen den ganzen in der Erde enthaltenen Genpool, das Metagenom. Sie identifizierten alle Gene aus Bakterien, Pilzen und Archaeen, die Bauanleitungen für Enzyme zur Halogenierung oder Dehalogenierung enthalten. Am häufigsten kamen Gene vor, wie sie in den Gattungen Bradyrhizobium, Solibacter, Sphingomonas, Burkholderia, Mycobacterium, Mesorhizobium, und Pseudomonas zu finden sind. „Die große Verbreitung dieser Enzyme beziehungsweise der große Umfang an halogenorganischen Verbindungen, die wir gefunden haben, hat weitreichende Bedeutung“, sagt Andreas Kappler.

„Zum Beispiel werden Halogenionen wie Chlorid oder Bromid dem Wasser als Markierung zugesetzt, um zu verfolgen, wie sich das Grundwasser bewegt. Wenn die Halogene auch natürlicherweise dort vorkommen, führt das unter Umständen zu falschen Ergebnissen.“ Berücksichtigen müsse man die Produktion halogenorganischer Verbindungen durch Mikroorganismen auch bei der Betrachtung von Stoffkreisläufen in der Atmosphäre. „Bei der Sanierung von belasteten Böden könnte man sich die Aktivität der Mikroorganismen stärker als bisher zunutze machen.“

Publikation:
Weigold, P. et al. A metagenomic-based survey of microbial (de)halogenation potential in a German forest soil. Scientific Reports 6, 28958; DOI 10.1038/srep28958 (2016), www.nature.com/articles/srep28958

Kontakt:
Prof. Dr. Andreas Kappler
Universität Tübingen
Zentrum für Angewandte Geowissenschaften
Telefon +49 7071 29-74992
andreas.kappler[at]uni-tuebingen.de

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