Leukämie-Therapie: Doppelt hält besser

Test eines Krebsmedikaments (Illustration). Die Fäden in den Zellen veranschaulichen die komplexe Anordnung von DNA und Chromatin. © Ella Marushchenko

Viele neue Krebsmedikamente schalten gezielt einzelne Eiweiße aus, die für das Wachstum von Krebszellen wichtig sind. Ein Beispiel ist Ibrutinib, ein im Jahr 2014 zugelassenes, innovatives Medikament für chronische lymphatische Leukämie. Diese Krankheit wird durch unkontrolliertes Wachstum von Zellen des körpereigenen Immunsystems verursacht. Es ist die häufigste Leukämie in der westlichen Welt.

Ibrutinib durchbricht den Kreislauf des ungebremsten Zellwachstums und ermöglicht auch Hochrisiko-PatientInnen mit chronischer lymphatischer Leukämie ein langes Überleben. Die PatientInnen müssen das Arzneimittel jedoch jeden Tag einnehmen und dadurch oft schwere Nebenwirkungen ertragen, wie zum Beispiel Fieber, Schmerzen und chronische Müdigkeit.

Um die Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie zu verbessern, erforschen WissenschaftlerInnen die gezielte Kombination mehrerer Krebsmedikamente. Sie suchen nach Medikamenten, die potenzielle Schwachstellen der mit Ibrutinib behandelten Leukämiezellen ausnutzen können. Das Ziel ist, die Leukämie so hart zu treffen, dass die Behandlung in absehbarer Zeit ohne negative Auswirkungen abgesetzt werden kann.

In einer gemeinsamen Studie haben ForscherInnen des CeMM und der Medizinischen Universität Wien eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, eine große Zahl von Medikamenten parallel und effektiv nach vielversprechenden Kombinationen zu durchsuchen. Die Arbeit wurde am 28. Januar 2019 in Nature Chemical Biology (DOI: 10.1038/s41589-018-0205-2) veröffentlicht.

Die neue Methode kombiniert epigenetische Analysen mit einer Bestimmung der Wirksamkeit diverser Medikamente auf einzelne Krebszellen. Sie identifiziert charakteristische epigenetische Veränderungen in Leukämiezellen von PatientInnen, die mit Ibrutinib behandelt werden und bestimmt mittels automatischer Mikroskopie, welche Medikamente spezifisch diese Leukämiezellen abtöten.

Alle Experimente wurden mit Blut von Leukämie-PatientInnen durchgeführt, das vor und während der Behandlung mit Ibrutinib abgenommen wurde. Dies ermöglichte die gezielte Suche nach Ibrutinib-induzierten Schwachstellen in den Leukämiezellen.

Christoph Bock, Forschungsgruppenleiter am CeMM, betont die Relevanz für die personalisierte Medizin: „Um den Krebs in Schach zu halten, braucht es oft mehrere Medikamente gleichzeitig. Die Suche nach solchen Kombinationstherapien umfasst leider viel Versuch und Irrtum. Deshalb haben wir eine Methode entwickelt, mit der wir gezielt priorisieren können, was wahrscheinlich funktionieren wird.

Die ersten Ergebnisse bei chronischer lymphatischer Leukämie sind vielversprechend, und ich bin überzeugt, dass unsere Methode zur Entwicklung personalisierter Therapien für Leukämie und andere Krebsarten beitragen wird.“

Ulrich Jäger, Professor für Hämatologie an der MedUni Wien und Leiter der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie am AKH Wien hebt den medizinischen Kontext der neuen Methode hervor: „Die Behandlung von Leukämien mit einem einzelnen Medikament birgt das Risiko von Resistenzen und Therapie-Versagen. Eine neue Methode zur gezielten Entwicklung von Kombinationstherapien ist daher in der Tat ein wichtiger Beitrag zur Krebsforschung. Außerdem unterstreicht die aktuelle Studie die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen CeMM und der MedUni Wien für die Übersetzung von Labor-Ergebnissen in die Klinik.“

Giulio Superti-Furga, Wissenschaftlicher Direktor des CeMM und Professor für Medizinische Systembiologie an der MedUni Wien fasst zusammen:

„Die Studie ist ein schönes Beispiel für die translationale Medizin und das Potential der Grundlagenforschung für die klinische Praxis. Kurz gesagt präsentiert das Paper einen relevanter Schritt in Richtung personalisierter Onkologie.“

Die Studie “Combined chemosensitivity and chromatin profiling prioritizes drug combinations in CLL” erschien am 28.01.2019 in Nature Chemical Biology. DOI: 10.1038/s41589-018-0205-2

Autoren: Christian Schmidl*, Gregory I Vladimer*, André F Rendeiro*, Susanne Schnabl*, Tea Pemovska, Christina Taubert, Thomas Krausgruber, Mohammad Araghi, Nikolaus Krall, Berend Snijder, Rainer Hubmann, Anna Ringler, Kathrin Runggatscher, Dita Demirtas, Oscar Lopez de la Fuente, Martin Hilgarth, Cathrin Skrab, Edit Porpaczy, Michaela Gruber, Gregor Hoermann, Stefan Kubicek, Philipp Staber, Medhat Shehata#, Giulio Superti-Furga#, Ulrich Jäger#, Christoph Bock#.
* Diese Autoren haben gleichberechtigte Beiträge geleistet
# Diese Autoren haben die Studie gemeinsam geleitet

Finanzierung: Diese Studie wurde gefördert der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), vom Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF), dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), der Europäischen Organisation für Molekularbiologie (EMBO), der Initiative Krebsforschung der Medizinischen Universität Wien, der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, dem Jubiläumsfonds der Österreichische Nationalbank (OeNB), und dem Europäischen Forschungsrat (ERC).

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter der wissenschaftlichen Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Instituts befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien.

www.cemm.at

Die Medizinische Universität Wien ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit 5.500 MitarbeiterInnen, 26 Universitätskliniken und etlichen medizintheoretischen Zentren und hochspezialisierten Laboratorien zählt sie zu den bedeutendsten Forschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen Bereich. Der klinische und forscherische Schwerpunkt der Medizinischen Universität liegt auf den Themen Immunologie, Neurobiologie, Imaging, Onkologie und Herz-Kreislauferkrankungen.

www.meduniwien.ac.at

Originalpublikation:

Die Studie “Combined chemosensitivity and chromatin profiling prioritizes drug combinations in CLL” erschien am 28.01.2019 in Nature Chemical Biology. DOI: 10.1038/s41589-018-0205-2.

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