Wie kommt die Wanze zum Wirt?

Die Wanze Rhodnius ist eine jener Gattungen aus der Unterfamilie Triatominae (Familie: Raubwanzen), die in Süd- und Mittelamerika die Chagas-Krankheit übertragen können. (Foto: Harald Tichy)<br>

Wie das blutsaugende Tier zum Wirt findet, untersucht ein Team um Harald Tichy vom Department für Neurobiologie der Universität Wien in einem FWF-Projekt: Erforscht werden dabei Rezeptoren, die sich auf den Fühlern der Wanze befinden.

Rund 20 blutsaugende Raubwanzen der Gattung „Rhodnius“ sind kürzlich am Department für Neurobiologie der Universität Wien eingetroffen. Sie zählen zu den wichtigsten Überträgern der Chagas-Krankheit, die durch den einzelligen Parasiten „Trypanosoma cruzi“ hervorgerufen wird. Mittels elektrophysiologischer Methoden ermittelt das Forschungsteam um Harald Tichy, wie diese blutsaugenden Insekten ihren Wirt finden.

18 Millionen Betroffene

An der Chagas-Krankheit, deren chronische Form sehr schwer zu behandeln ist und als Darmdurchbruch oder Bauchfellentzündung tödlich enden kann, leiden weltweit über 18 Millionen Menschen; 50.000 infizieren sich jährlich neu, 15.000 sterben jedes Jahr. Die Wanzen gefährden vor allem Personen, die in einfachen Verhältnissen leben; sie verstecken sich in Strohdächern und Wandritzen. Infektiös ist der Wanzenkot, der über den Stich des Tieres oder die Schleimhaut des Auges in den menschlichen Organismus gelangt. Bevorzugt sticht die Wanze in Körperregionen mit dünner Haut.

Infrarotrezeptoren vorhanden?

Welche Sinnesreize ziehen die Wanzen an? Neben Kohlenstoffdioxid sowie Gerüchen ist es insbesondere die Infrarotstrahlung. Registrieren die Wanzen die elektromagnetischen Wellen der Infrarotstrahlung oder aber die Wärme, die bei ihrer Aufnahme entsteht? „Noch ist nicht bekannt, ob Wanzen Infrarotrezeptoren besitzen. Wärmereize werden hingegen von Thermorezeptoren registriert, die bei anderen Insekten bereits bekannt sind“, sagt Harald Tichy, stellvertretender Leiter des Departments für Neurobiologie.

Diese beiden Rezeptortypen ermöglichen unterschiedliche Strategien: Infrarotsensoren können die von der Infrarotquelle emittierte Strahlung über große Entfernungen wahrnehmen, Thermorezeptoren hingegen nicht. Stechmücken und Zecken besitzen keine Infrarotrezeptoren. Nur bei einem einzigen Tier wurden bisher Infrarotrezeptoren beschrieben – dem australischen Feuerprachtkäfer, der Waldbrände auf eine Entfernung von bis zu 80 Kilometer wahrnimmt. Ob sich auf den Antennen der Wanzen Infrarot- oder Thermorezeptoren befinden, ist nicht nur für die Grundlagenforschung interessant: „Neue Ergebnisse tragen dazu bei, adäquate Fallen zu entwickeln und somit die Wanzenpopulation bzw. die Infektionsrate zu verringern“, erklärt Tichy.

Elektrophysiologische Experimente

Am Department für Neurobiologie der Universität Wien leben die noch jungen Wanzen in einem Insektarium. Den Raum teilen sie sich mit anderen Insekten und Spinnen. „Unsere Wanzen sind erregerfrei“, beruhigt Projektmitarbeiterin Lydia Zopf. Interessant sind aber nicht nur die Wanzen selbst, sondern auch die Technik, die neue Erkenntnisse zur Funktion von Sinnesorganellen auf den Fühlern von Insekten ermöglicht: In Harald Tichys Labor steht die in mehrjähriger Forschungsarbeit entwickelte Reizapparatur, mit der die ForscherInnen elektrophysiologische Experimente zur Temperatur- und Infrarotwahrnehmung durchführen.

Was reizt das Tier?

„Zuerst untersuchen wir mit dem Rasterelektronenmikroskop die Lage und Verteilung der Sinnesorgane auf den Fühlern, die als Rezeptoren für Infrarot oder Temperaturreize infrage kommen. Danach starten wir die elektrophysiologischen Experimente, um den adäquaten Reiz dieser Sinnesorgane zu ermitteln“, beschreibt Tichy.

Getestet wird sowohl die Reaktion auf Infrarotstrahlung als auch auf Temperaturreize. Falls die Rezeptoren auf beides reagieren, liegen Temperaturrezeptoren vor. Reagieren die Rezeptoren nur auf Infrarotstrahlung, besitzen die Wanzen ein Fernsinnesorgan dafür. Dieses wäre in der Lage, einen Warmblüter ohne Beeinträchtigung durch die Umgebungstemperatur zu lokalisieren, ähnlich wie Photorezeptoren, die bei Menschen das Farbsehen unabhängig von Wind und Wetter ermöglichen. „Diese Versuche mit Infrarotstrahlung und Konvektionsreizen, die wir im dreijährigen FWF-Projekt 'Die Wahrnehmung von Infrarot und Temperatur bei blutsaugenden Wanzen' durchführen, wurden auch bei den Infrarotorganen der australischen Feuerprachtkäfer noch nicht angewandt“, freut sich Tichy über die komplexe Forschungsmethode, die bedeutsame Erkenntnisse zur Familie der Raubwanzen verspricht.

Weitere Informationen: http://neuro.univie.ac.at/

Wissenschaftlicher Kontakt
ao. Univ.-Prof. Dr. Harald Tichy
Department für Neurobiologie
Universität Wien
1090 Wien, Althanstraße 14 (UZA I)
T +43-1-4277-565 24
harald.tichy@univie.ac.at
Rückfragehinweis
Mag. Alexander Dworzak
Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien
1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1
T +43-1-4277-175 31
M +43-664-602 77-175 31
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