Doch kein Zufall: erstmals Risikofaktor für krebsspezifische Mutation entdeckt

Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum, dem Universitätsklinikum Heidelberg und dem Institute of Cancer Research in London entdecken damit erstmals, dass eine krebsspezifische Mutation nicht rein zufällig auftritt, sondern durch eine Genvariante begünstigt werden könnte. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift Nature Genetics veröffentlicht.

Das Multiple Myelom ist eine Erkrankung der Antikörper produzierenden Immunzellen. Es wird oft als Knochenmarkkrebs bezeichnet, da sich die Krebszellen typischerweise hier ansiedeln. Die seltene Krebserkrankung ist durch ein komplexes Spektrum an Erbgutveränderungen gekennzeichnet. Bei einer Gruppe der Myelome sind bestimmte Erbgutabschnitte vervielfältigt, bei einer anderen sind typischerweise ganze Chromosomenabschnitte umgelagert, es handelt sich um so genannte Translokationen.

Unter der Leitung von Professor Kari Hemminki aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum und Professor Hartmut Goldschmidt von der Medizinischen Klinik Heidelberg untersuchte nun ein Forscherteam aus Heidelberg und London, ob die Gründe für diese Chromosomenveränderungen möglicherweise im Erbgut der Zellen selbst zu finden sind. Die Forscher zogen dazu zwei große Erbgutanalysen heran, in denen sie bereits 2011 bei insgesamt über 1600 Patienten mit Multiplem Myelom charakteristische Veränderungen analysiert hatten. Diese führten sie mit umfangreichen Daten zu den chromosomalen Veränderungen der Tumorzellen zusammen. Sie verglichen, ob bestimmte vererbte genetische Varianten in einzelnen Untergruppen des Myeloms häufiger vorkommen als bei den übrigen Fällen der Erkrankung.

Solche Varianten, in der Fachsprache SNPs (single nucleotide polymorphisms) genannt, sind Variationen einzelner Basenpaare, die sich zu einem gewissen Grad im genetischen Erbe einer Population durchgesetzt haben und an sich keinen Krankheitswert besitzen.

Für einen einzigen unter den etwa 400.000 untersuchten SNPs fanden die Wissenschaftler eine hochsignifikante Korrelation mit einer der charakteristischen Erbgutumlagerungen beim Multiplen Myelom: In diesen Tumorzellen sind bestimmte Abschnitte von Chromosom 11 auf Chromosom 14 umgelagert (11;14-Translokation). Etwa 15 Prozent der Multiplen Myelome weisen diese Anomalie auf, die durch eine Überproduktion von Cyclin D1, einem Schlüsselregulator der Zellteilung, gekennzeichnet ist.
Von Cyclin D1 existieren zwei verschiedene Formen, deren biologischen und biochemischen Eigenschaften sich deutlich unterscheiden. Welche Form in den Zellen vorliegt, ist abhängig von dem SNP, der mit der t(11;14)-Translokation beim Multiplen Myelom assoziiert ist. Die Wissenschaftler errechneten, dass Träger der häufigeren der beiden „Schreibweisen“ ein doppelt so hohes Risiko haben, an einem Multiplen Myelom mit der (11;14)-Umlagerung zu erkranken.

Zur Kontrolle überprüfte das deutsch-britische Team zusätzlich 155 Fälle einer gutartigen Vorstufe des Multiplen Myeloms, der monoklonalen Gammopathie. Auch hier entdeckten sie, dass die abweichende Schreibweise im Cyclin D1-Gen mit der (11;14)-Umlagerung assoziiert ist.
Dr. Niels Weinhold von der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg, der Erstautor der Untersuchung, erklärt: „Eine so starke Korrelation zwischen der spezifischen Schreibweise des Cyclin D1 und der Translokation legt nahe, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen besteht. Möglich wäre beispielsweise, dass die Schreibvariante des Cyclins die frühe Entwicklung des Multiplen Myeloms mit der(11;14)-Umlagerung begünstigt. Welche Mechanismen tatsächlich hinter einem ursächlichen Zusammenhang der beiden Ereignisse stecken, können wir jedoch noch nicht sagen.“

Kari Hemminki ergänzt: „Bisher ging man immer davon aus, dass Chromosomenanomalien bei Krebs nach dem Zufallsprinzip entstehen. Wir haben hier erstmals einen starken Hinweis dafür gefunden, dass eine bestimmte Schreibweise eines Gens eine spezifische Umlagerung von Chromosomenabschnitten bedingt. Eine solche Korrelation ist bei keiner anderen Erkrankung jemals beobachtet worden.“

In Deutschland erkranken jährlich etwa 3500 Menschen am Multiplen Myelom. Durch eine unkontrollierte Vermehrung von Myelomzellen im Knochenmark wird die Ausreifung von gesunden Blutzellen gestört, was zu einer erhöhten Infektanfälligkeit und Blutarmut beiträgt.
Botenstoffe der Myelomzellen zerstören zudem die Knochensubstanz, stören den Kalziumhaushalt und erhöhen so die Gefahr für Knochenbrüche. Die von den Myelomzellen gebildeten Antikörperbruchstücke lagern sich oft in der Niere ab und bewirken eine Störung der Nierenfunktion.

Niels Weinhold, David C Johnson, Daniel Chubb, Bowang Chen, Asta Försti, Fay J Hosking, Peter Broderick, Yussanne P Ma, Sara E Dobbins, Dirk Hose, Brian A Walker, Faith E Davies, Martin F Kaiser, Ni L Li, Walter A Gregory, Graham H Jackson, Mathias Witzens-Harig, Kai Neben, Per Hoffmann, Markus M Nöthen, Thomas W Mühleisen, Lewin Eisele, Fiona M Ross, Anna Jauch, Hartmut Goldschmidt, Richard S Houlston, Gareth J Morgan und Kari Hemminki: The CCND1 c.870G>A polymorphism is a risk factor for t(11;14)(q13;q32) multiple myeloma. Nature Genetics 2013, DOI:10.1038/ng.2583

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.

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