Invasion der Retroviren – Koala-Häute aus Museum offenbaren böse Überraschung im Erbgut

Koalas im Tiergarten Schönbrunn in Wien<br>Foto: Barbara Feldmann<br>

Der Prozess der Integration von Retroviren-DNA ist sehr langwierig, dabei kann der Retrovirus den Gesundheitszustand der Koalas über Jahrhunderte hinweg negativ beeinflussen. Das gilt zumindest für Einzelfälle. Diese Ergebnisse wurden jetzt von einem internationalen Team von Wissenschaftlern aus Australien, Europa und Nordamerika online in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Molecular Biology and Evolution veröffentlicht.

„Der Prozess, bei dem sich ein Retrovirus in das Erbgut von Keimzellen eines Wirtes schreibt, dauerte beim Koala sehr lange. Als Konsequenz leiden die Koalas über Generationen hinweg an den Folgeerscheinungen in Form von Krankheiten“, sagte Alfred Roca von der Universität Illinois in Urbana-Champaign, USA, einer der Autoren der Studie. In den heutigen Koalapopulationen steht der Koala-Retrovirus in engem Zusammenhang mit Krankheiten wie Chlamydien-Infektion oder Leukämie. Angesichts der Ähnlichkeit von genetischen Koala-Retrovirus-Sequenzen zwischen damaligen und heutigen Koalapopulationen kann man davon ausgehen, dass auch die damaligen Populationen an den entsprechenden Krankheiten gelitten haben.

Als das Wissenschaftlerteam den Koala-Retrovirus anhand von musealen Koala-Häuten aus dem späten 19. und 20. Jahrhundert mithilfe einer DNA-Analyse untersuchte, erlebten sie einige wissenschaftliche Überraschungen. Im Gegensatz zu ihren Erwartungen, zeigte die älteste Museumsprobe, dass der Koala-Retrovirus bereits vor 120 Jahren im Norden Australiens weit verbreitet war, darüber hinaus haben sich die Virus-Sequenzen innerhalb von einem Jahrhundert kaum verändert. Das deutete darauf hin, dass der Koala-Retrovirus die Koalas in Australien schon viel früher als bisher angenommen infiziert hat, aber innerhalb der Koalapopulation muss sich der Retrovirus sehr langsam verbreitet haben.
Alex Greenwood vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, Leiter der Forschungsgruppe, stellt fest, dass „dies tatsächlich Sinn ergibt, da Koalas sehr sesshafte Tiere sind und es somit schwer vorstellbar ist, dass es der Koala-Retrovirus in nur 200 Jahren schafft, sich auf die gesamte australische Koalapopulation auszubreiten. Der Koala Retrovirus könnte mehrere Tausend, wenn nicht sogar 10.000 Jahre alt sein, leider liegen uns keine älteren Proben vor.“

Um herauszufinden, wie Retroviren ihr Erbgut an Keimzellen von Wirtstiere weitergeben, haben sich die Wissenschaftler mit dem australischen Koala eine scheinbar untypische Modelltierart ausgesucht. Das liegt an der Einzigartigkeit des Koala-Retrovirus, da er derzeit der einzig bekannte Retrovirus bei Tieren ist, der in das Erbgut von Keimzellen eindringt und dort dauerhaft verbleibt.

Während die Koalas im nördlichen Australien fast alle mit dem Koala-Retrovirus infiziert sind, fällt der Anteil der infizierten Koalas im Süden von Australien drastisch ab. Die Wissenschaftler vermuteten deshalb anfangs, dass es sich bei dem Koala-Retrovirus eher um einen jungen Virus handelt.

Greenwood kommentiert: „Am Anfang der Studie sind wir davon ausgegangen, dass der Koala-Retrovirus erstmals vor ca. 200 Jahren auftrat. Auf der Grundlage der heutigen Verteilung des Virus sollte die DNA-Analyse der Koala-Häute aus Museen die verschiedenen Veränderungen des Virus im Laufe der Zeit nachweisen. Unsere Annahme war, dass der Koala-Retrovirus weniger verbreitet war, je weiter wir in der Zeit zurückgingen. Aber die Ergebnisse der Studie zeigten uns Hinweise darauf, dass der Koala Retrovirus schon uralt sein muss.“

Retroviren umfassen eine große und komplexe Gruppe von Viren, die auch die „Humanen Immundefizienz-Viren“ (HIV) enthalten, die beim Menschen AIDS verursachen. Im Gegensatz zu anderen Viren müssen Retroviren, als Teil ihres Lebenszyklus, ihr genetisches Material in das Genom des Wirtorganismus kopieren. Gelegentlich kann es vorkommen, dass sich der genetische Code eines Retrovirus in die Keimzellen des Wirtes einschreibt und er somit die Möglichkeit hat, seine eigene DNA an die folgenden Generationen dauerhaft zu übertragen. Das Genom des Menschen besteht bis zu 8 Prozent aus diesen Kopien von Retroviren. Die genetischen Informationen der Retroviren werden von den Eltern an die Kinder wie andere „normale“ Gene weitervererbt. In einigen Fällen konnte beim Menschen ein Zusammenhang zwischen Krankheiten und Retroviren hergestellt werden. Beim Menschen ist es sehr schwer, die Prozesse zu untersuchen, wie sich die Erbinformation der Retroviren in die Keimzellen schreibt. Das liegt daran, dass alle menschlichen Retroviren vor Millionen von Jahren in das Erbgut der Menschen gelangt sind.

Kontakt
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW)
im Forschungsverbund Berlin e. V.
Alfred-Kowalke-Str. 17
10315 Berlin
Prof. Alex Greenwood, +49 30 5168 255, greenwood@izw-berlin.de
Steven Seet, +49 30 5168 108, seet@izw-berlin.de

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Gesine Wiemer Forschungsverbund Berlin e.V.

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