Die Innenarchitektur eines Bittergeschmacksrezeptors entscheidet über seine Sensoreigenschaften

Wie die Forscher nun zeigen, wirken sich bereits kleinste Unterschiede im Inneren eines Sensors auf das Wechselspiel zwischen Bitterrezeptor und Bitterstoffen aus. Sie entscheiden darüber, ob und wie stark der Sensor auf einen bestimmten Bitterstoff reagiert.

Die neuen Forschungsdaten könnten dabei helfen, spezifische Bitterblocker mit dem Ziel zu entwickeln, die molekularen Vorgänge der Bittergeschmackswahrnehmung noch genauer zu untersuchen.

Forschergruppe um Wolfgang Meyerhof, Leiter der Abteilung Molekulare Genetik am DIfE, werden diese Woche ihre Daten online in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences USA publizieren (Brockhoff et al., 2010*).

Nur 25 verschiedene Bittersensortypen reichen aus, um Tausende von Bitterstoffen zu erkennen. Dabei detektieren einige der Sensortypen wie der hTAS2R46 eine breite Palette von bitteren Substanzen, während andere nur auf wenige Bitterstoffe reagieren. Jeder Rezeptor besitzt sein eigenes Profil von Bitterstoffen.

Im Prinzip ist ein Bittersensor eine gefaltete Eiweißkette, die aus etwa 300 Eiweißbausteinen (Aminosäuren) besteht und in die Zellmembran der Geschmackszellen des Mundes eingebettet ist. Das ist seit längerem bekannt. Neu ist die Erkenntnis der vorliegenden Studie, dass das Sensormolekül nur eine nach außen zum Mundraum hin offene Tasche ausbildet. Diese „Bindungstasche“ ist für alle im Speichel gelösten Bitterstoffe des Rezeptors zuständig, egal ob sie synthetisch, natürlich, gesund oder giftig sind oder wie unterschiedlich ihre Strukturen sind. Wie die neue Studie ebenfalls erstmals belegt, bestimmen nur wenige Bausteine der Eiweißkette, auf welche Substanzen ein Bittersensor reagiert. Diese funktionell wichtigen Aminosäuren ragen in die Bindungstasche hinein, um mit den Bitterstoffen in Wechselwirkung zu treten.

Zu diesen Resultaten kamen die Wissenschaftler um Meyerhof, indem sie Rezeptorchimären aus drei verschiedenen Bittersensortypen konstruierten und deren sensorisches Verhalten mit Hilfe eines Zellkultursystems, das heißt einer Art künstlichen Zunge testeten. Die Forscher tauschten beispielsweise im hTAS2R46 zwei funktionell relevante Aminosäuren gegen entsprechende Eiweißbausteine des hTAS2R31 aus. Hierdurch gelang es ihnen, den Bitterrezeptor hTAS2R46 in einen Bittersensor umzuwandeln, der sensorische Eigenschaften des hTAS2R31 aufwies. Der Rezeptor hTAS2R46, der vorher spezifisch das Gift Strychnin detektierte, reagierte nun auf die krebserregende und nierenschädigende Aristolochiasäure, die er vorher nicht erkannte.

Gleichzeitig untersuchten die Wissenschaftler mit Hilfe eines Modellierungsprogramms am Computer die Raumstruktur des hTAS2R46. „So bekamen wir erstmalig eine räumliche Vorstellung der äußeren und inneren Rezeptorstruktur und konnten sichtbar machen, wo das Strychnin im Inneren des Rezeptors aller Wahrscheinlichkeit nach gebunden wird“, sagt Anne Brockhoff, Erstautorin der Studie.

„Wir hoffen, auf diese Weise noch weitere Molekülbereiche identifizieren zu können, die eine wichtige Rolle für die Wechselwirkung zwischen Bitterstoff und Bitterrezeptor spielen. Unser Ziel ist, rezeptorspezifische Bitterblocker zu entwickeln. Diese könnten sehr hilfreich sein, um die sensorischen und pharmakologischen Eigenschaften der Bittersensoren noch weitgehender zu ergründen“, so Maik Behrens, Mitautor der Studie.

Hintergrundinformation:
*Anne Brockhoff, Maik Behrens, Masha Y. Niv, and Wolfgang Meyerhof: Structural requirements of bitter taste receptor activation; Proc Natl Acad Sci USA, 2010; DOI/10.1073/pnas.0913862107; A preprint of the article will be available to journalists starting Wednesday, May 26, 2010, on a secure reporters-only web site.

Die Bittergeschmackswahrnehmung ist angeboren und bereits Babys können Bitterstoffe wahrnehmen. Gibt man einem Kleinkind etwas Bitteres, so versucht es, das Bittere so schnell wie möglich wieder auszuspucken. Dies macht die orale Gabe bitterer Medikamente in diesem Alter besonders problematisch. Obwohl nicht generell ein Zusammenhang zwischen Bitterkeit und Giftigkeit besteht, gehen Wissenschaftler im Allgemeinen davon aus, dass der Sinn für Bitteres uns vor dem Verzehr giftiger Nahrung bewahren soll.

Wolfgang Meyerhof leitet am DIfE eine der führenden Arbeitsgruppen, die sich mit Geschmacksforschung in Deutschland beschäftigen. Der Gruppe ist es gelungen, alle 25 menschlichen Bitterrezeptor-Gene zu identifizieren. Bitterrezeptoren findet man auf der Zunge, aber auch im Bereich des Gaumens, des Rachens und des Kehlkopfs. Bereits 2005 und 2006 hatten Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Meyerhof gezeigt, dass die Wahrnehmung des Bittergeschmacks eine wichtige Rolle während der menschlichen Evolution spielte. Im Jahr 2007 zeigte die Gruppe um Meyerhof, dass Geschmackszellen über unterschiedliche Bitterrezeptoren-Sets verfügen. Damit wären zumindest auf molekularer und zellulärerer Ebene die Voraussetzungen erfüllt, zwischen verschiedenen Bitterstoffen zu differenzieren. Erst kürzlich war die Gruppe an der Identifizierung des ersten rezeptorspezifischen Bitterblockers maßgeblich beteiligt.

Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsbedingter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Forschungsschwerpunkte sind dabei Adipositas (Fettsucht), Diabetes und Krebs.

Zur Leibniz-Gemeinschaft gehören zurzeit 86 Forschungsinstitute und Serviceeinrichtungen für die Forschung sowie drei assoziierte Mitglieder. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute arbeiten strategisch und themenorientiert an Fragestellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Bund und Länder fördern die Institute der Leibniz-Gemeinschaft daher gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen etwa 16.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon sind ca. 7.100 Wissenschaftler, davon wiederum 2.800 Nachwuchswissenschaftler. Näheres unter http://www.leibniz-gemeinschaft.de.

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