Immunsystem sein Gedächtnis entwickelt

Interdisziplinäres Arbeiten ist heute für Wissenschaftler selbstverständlich. Insbesondere mathematische Modelle bringen vielen Bereichen neuen Erkenntnisgewinn. Dazu müssen sich in der Regel Experten unterschiedlicher Fachrichtungen miteinander verständigen. Außergewöhnlich ist die Doppelbegabung der diesjährigen Preisträgerin des Nachwuchswissenschaftlerinnen-Preises des Forschungsverbundes Berlin. Dr. Edda Schulz hat in ihrer Dissertation Mit dem Titel „Mathematische und Experimentelle Analyse regulatorischer Netzwerke in T-Helfer-Lymphozyten“ am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum und an der Humboldt-Universität untersucht, wie das Immunsystem sein Gedächtnis entwickel. Dabei hat sie nicht nur den experimentellen Teil, sondern auch die mathematische Modellierung auf höchstem Niveau selbst durchgeführt.

Ihre Arbeit ist in der Fachwelt auf großes Interesse gestoßen. Die Ergebnisse wurden in den Journalen „Immunity“ und „Nature Reviews of Immunology“ veröffentlicht. Prof. Andreas Radbruch, Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums, ist begeistert von der Arbeit: „Edda Schulz ist eine der besten Doktorandinnen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Ich habe die Arbeit gemeinsam mit dem Biophysiker Prof. Thomas Höfer vom Deutschen Krebsforschungszentrum betreut – es bedurfte unser beider Fachwissen dafür.“

Edda Schulz hat die Entstehung von T-Helfer-Lymphozyten untersucht, die eine zentrale Rolle bei der Immunabwehr spielen. Entwickeln sich die T-Helfer-Lymphozyten nicht richtig, führt das häufig zu Autoimmunerkrankungen. Schon seit 20 Jahren ist bekannt, dass zwei Botenstoffe des Immunsystems die Prozesse steuern, die das Gedächtnis der Immunzellen bilden: die Zytokine Interferon-gamma und Interleukin-12. Wie genau diese Stoffe die Immunzellen regulieren und wie sie zusammenspielen, war jedoch nicht bekannt.

In ihrer Arbeit hat Edda Schulz herausgefunden, dass der Prozess in zwei Schritten abläuft. Empfängt die Zelle das Signal eines unbekannten Antigens, wird das Interferon-gamma aktiv und reguliert die Abwehr der Zelle. Da das Immunsystem das Antigen noch nicht kennt, probiert es verschiedene Waffen zu dessen Bekämpfung aus. Das ist die erste Phase. Hat die Zelle das Antigen erfolgreich bekämpft, beginnt in der zweiten Phase das IL-12 zu wirken. Es veranlasst die Zelle, sich die letzte Reaktion auf den Erreger zu merken, die offensichtlich erfolgreich war. Trifft die Zelle das nächste Mal auf ein solches Antigen, reagiert sie gleich mit der richtigen Waffe. Das Signal des Antigens fungiert dabei als „Schalter“ zwischen den beiden Phasen. Solange das Antigen noch aktiv ist, kann die Zelle das IL-12 nicht sehen. In dieser Phase ist noch nicht entschieden, welche Reaktion der Zelle das Antigen erfolgreich bekämpft, die Zelle probiert noch verschiedene Reaktionen aus. Sobald das Antigen-Signal ausbleibt, beginnt das IL-12 zu wirken, die Zelle merkt sich die letzte – und damit erfolgreiche – Abwehrreaktion.

Wissenschaftler wollen die molekularen Mechanismen der Immunabwehr besser verstehen, um beispielsweise für Autoimmunerkrankungen gezielt neue Therapien entwickeln zu können. Bei Autoimmunerkrankungen reagiert die Zelle, auch ohne dass ein Antigen vorliegt. Häufig sollen Medikamente eine Immunreaktion verhindern, indem sie das Anigen-Signal hemmen. Dadurch wird jedoch das IL-12 aktiv, im ungünstigen Fall wird das Gedächtnis der Zelle verstärkt und chronische Entzündungen werden schlimmer. Auch für das Impfen sind diese Mechanismen wichtig: Auf die zeitliche Abfolge kommt es an, um das Gedächtnis der Zelle zu verstärken.

Edda Schulz betont: „Mich hat vor allem überrascht, dass ein so komplexes Phänomen wie das immunologische Gedächtnis von nur drei verschiedenen Genen kontrolliert wird, die jedoch auf eine ganz bestimmte Weise vernetzt sind. Das habe ich erst dann verstanden, als ich meine experimentellen Messungen mit mathematischen Simulationen verglichen habe.“ Sie ergänzt: „Die Anerkennung meiner Arbeit durch den Preis bestärkt mich darin, trotz schwieriger Bedingungen eine Laufbahn in der akademischen Forschung anzustreben.“ Ihre Arbeit wurde darüber hinaus mit dem Avrion-Mitchison-Preis für Rheumaforschung und dem MTZ-Preis für medizinische Systembiologie ausgezeichnet. Edda Schulz arbeitet derzeit als Postdoktorandin am angesehenen Institut Curie in Paris. Andreas Radbruch erwartet, dass sie weitere wichtige Beiträge für die Wissenschaft leisten wird: „Sie ist ein einzigartiges Talent und hat ungewöhnlich breit gefächerte Kompetenzen.“

Die Verleihung des elften Nachwuchswissenschaftlerinnen-Preises des Forschungsverbundes Berlin e.V. findet am 2. November 2011 um 19 Uhr im Forum Adlershof, Rudower Chaussee 24, 12489 Berlin, statt.

Kontakt: wiemer@fv-berlin.de
Tel.: 030 6392 3338

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