Highspeed-Evolution im Labor – GenetikerInnen evaluieren kostengünstige Genomanalyse

Christian Schlötterer forscht in seinem Labor an der Vetmeduni Vienna an genetischen Variationen in Fruchtfliegen. Foto: Michael Bernkopf / Vetmeduni Vienna

Christian Schlötterer und sein Team vom Institut für Populationsgenetik an der Vetmeduni Vienna erforschen die Genome gesamter Populationen. Die Forschenden wollen wissen, warum sich Individuen voneinander unterscheiden und was diese Unterschiede bewirken.

Sie zeigen in zwei Übersichtsartikeln in Nature Reviews Genetics und im Journal Heredity, dass die DNA-Sequenzierung gesamter Gruppen effizient und kostengünstig diese Fragen beantworten kann.

Seit der vollständigen Sequenzierung des humanen Genoms im Jahr 2001 ist die DNA-Analyse immer effizienter und kostengünstiger geworden. Dennoch muss man mit etwa 1.000 US Dollar pro sequenziertem Genom rechnen. Möchte man nun etwa den genetischen Code hunderter Individuen sequenzieren, ist das sehr teuer und aufwändig. Forschende stoßen dabei rasch an die Grenzen der Machbarkeit.

Gruppe statt Individuen sequenzieren

Die Lösung dieses Problems nennt sich Pool-Sequenzierung (Pool-Seq). Schlötterer und sein Team sequenzieren ganze Gruppen von Individuen, nämlich Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster), in einer einzigen Reaktion anstelle von vielen einzelnen Sequenzierungen. So können die genetischen Informationen zwar nicht auf das einzelne Individuum zurückgeführt werden, der gesamte Datensatz liefert dennoch alle wichtigen genetischen Informationen der gesamten Population.

Schlötterer und seine KollegInnen zeigen in ihrer aktuellen Veröffentlichung, welche Fragestellungen mit Pool-Seq beantwortet werden können.

Auf der Suche nach den Bausteinen der Evolution

Um zu verstehen, wie Organismen auf veränderte Umweltbedingungen reagieren, wird die gesamte DNA einer Population mittels Pool-Seq vor und nach den veränderten Bedingungen analysiert. Die Forschenden nutzen dazu die Methode des Evolve & Resequence (E&R). Für diesen Ansatz erhielt Schlötterer 2012 einen ERC-Advanced Grant.

Dabei handelt es sich um eine Analysetechnik bei der zuallererst die DNA einer Gruppe sequenziert wird, anschließend wird die Gruppe einem Reiz ausgesetzt, das kann etwa starke Hitze, Kälte oder UV-Strahlung sein, danach wird wieder sequenziert. Der Vergleich der beiden DNA-Datensätze zeigt, an welchen Genen sich die Gruppe durch die Reizeinwirkung verändert hat. Diese Gene haben dann höchstwahrscheinlich mit der Reizeinwirkung zu tun. So können beispielsweise die beteiligten Gene für eine verstärkte Pigmentierung nach UV-Bestrahlung herausgefiltert werden.

„Nach diesem Prinzip betreiben wir Evolution in Höchstgeschwindigkeit und wollen so beispielsweise herausfinden, welche Gene das Altern bestimmen, welche Gene vor Krankheiten schützen oder welche Gene die Auswirkung der Klimaerwärmung lindern“, erklärt Schlötterer.

Der Genetik des Alterns und der Krankheitsresistenzen auf der Spur

Der Evolve&Resequence-Ansatz erlaubt es auch, jene Gene herauszufiltern, die beispielsweise das Altern regulieren. Dabei werden über Generationen hinweg jene Fliegen einer Population ausgewählt, die besonders alt werden. Nach einigen Generationen vergleichen die Forschenden die Genome der „Methusalem“-Fliegen mit normal alternden Fliegen und können so die am Altern beteiligten Gene herausfiltern. Genauso verhält es sich mit der Suche nach Genen, die gegen bestimmte Krankheiten resistent machen.

Der Bioinformatiker und Mitautor der Studie, Robert Kofler, erklärt es so: „Wir beschäftigen uns mit genetischen Veränderungsprozessen und sind auf der Suche nach Variation in den Genomen. Diese Variationen geben Aufschluss darüber, wie Evolution funktioniert“.

PopulationsgenetikerInnen werden in Wien ausgebildet

Schlötterer leitet das Doktoratskolleg „Vienna Graduate School of Population Genetics“ an der Vetmeduni Vienna. Die Lehrplattform schließt die Lücke zwischen theoretischer und experimenteller Populationsgenetik. Zurzeit forschen 22 PhD-StudentInnen in Wien im Bereich der theoretischen und experimentellen Populationsgenetik sowie Bioinformatik und Statistik. http://www.popgen-vienna.at

Service:
Der Artikel „Sequencing pools of individuals – mining genome-wide polymorphism data without big funding” von Christian Schlötterer, Taymond Tobler, Robert Kofler und Viola Nolte wurde im Journal Nature Reviews Genetics veröffnetlicht. DOI:10.1038/nrg3803
http://www.nature.com/nrg/journal/vaop/ncurrent/full/nrg3803.html

Der Artikel “Combining experimental evolution with next-generation sequencing: a powerful tool to study adaptation from standing genetic variation” von Christian Schlötterer, Robert Kofler, E. Versace, Raymond Tobler und S. U. Franssen wurde im Journal Heredity veröffentlicht. DOI:HDY.2014.86
http://www.nature.com/hdy/journal/vaop/ncurrent/full/hdy201486a.html

Über die Veterinärmedizinische Universität Wien

Die Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni Vienna) ist eine der führenden veterinärmedizinischen, akademischen Bildungs- und Forschungsstätten Europas. Ihr Hauptaugenmerk gilt den Forschungsbereichen Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit, Tierhaltung und Tierschutz sowie den biomedizinischen Grundlagen. Die Vetmeduni Vienna beschäftigt 1.300 MitarbeiterInnen und bildet zurzeit 2.300 Studierende aus. Der Campus in Wien Floridsdorf verfügt über fünf Universitätskliniken und zahlreiche Forschungseinrichtungen. Zwei Forschungsinstitute am Wiener Wilhelminenberg sowie ein Lehr- und Forschungsgut in Niederösterreich gehören ebenfalls zur Vetmeduni Vienna. Im Jahr 2015 feiert die Vetmeduni Vienna ihr 250-jähriges Bestehen. http://www.vetmeduni.ac.at

Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Christian Schlötterer
Institut für Populationsgenetik
Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni Vienna)
T +43 1 20577-4300
christian.schloetterer@vetmeduni.ac.at

Aussenderin:
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Wissenschaftskommunikation / Public Relations
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