Von der Hefe teilen lernen

Eine sich teilende Krebszelle in Metaphase. Die DNA (grau) ist mit dem Kernspindelapparat verbunden (Pseudofarben). Illustration: IMP/Ladurner<br>

Der erwachsene menschliche Körper besteht aus mehreren Billionen einzelner Zellen. Es gilt “Omnis cellula e cellula“, was soviel bedeutet wie: jede neue Zelle kann nur aus einer bereits existierenden Zelle, also durch Teilung, entstehen. Bei diesem Prozess, der in allen höheren Lebewesen weitgehend denselben Gesetzmäßigkeiten unterliegt, wird die Erbinformation zuerst exakt kopiert und anschließend weitergegeben.

Die Zelle ist also mit einer logistischen Herausforderung konfrontiert – zwei intakte Chromosomensätze müssen auf die jeweils gegenüberliegende Seite des Zellkerns transportiert werden. Der Spindelapparat fungiert dabei als eine Art molekularer Motor, der alle Chromosomenbewegungen steuert. Das Kinetochor, ein komplexes Proteinnetzwerk, ist das Bindeglied zwischen der DNA und der Spindel.

Während Kinetochorproteine, die den direkten Kontakt zur Spindel herstellen, sich entwicklungsgeschichtlich kaum verändert haben, blieb die molekulare Verwandtschaft der Chromosomen-bindenden Komponenten aufgrund der völlig unterschiedlichen DNA-Sequenz von Hefe und Mensch lange im Dunkeln.

Hefe und Mensch enger verwandt als angenommen

Dass sich Mensch und Hefe evolutionär aber weit näher stehen als bisher gedacht, zeigt eine Studie, die in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift Nature Cell Biology erscheint. Das Team rund um Gruppenleiter Stefan Westermann entdeckte den fehlenden “evolutionären Link“ und eröffnet damit einen detaillierten Einblick in den Aufbau und die Funktion dieses Zellteilungsorganells.

“Unser Ansatz, der schließlich erfolgreich war, konzentrierte sich nicht ausschließlich auf die Proteinsequenz. Wir suchten vielmehr nach speziellen Motiven, die den Proteinen ihre Gestalt und Funktion verleihen“, meint Stefan Westermann. “Auf diese Art konnten wir, gemeinsam mit unserem Bioinformatiker Alexander Schleiffer, gleich mehrere neue DNA-bindende Moleküle identifizieren und sie dem jeweiligen humanen Pendant zuordnen.“ Anschließende Experimente zeigten, dass nicht nur die Struktur sondern auch analoge Funktionen im Verlauf der Evolution erhalten geblieben sind. “Die Stärke von Hefe als Modellorganismus ist die einfache und rasche Handhabung. Erkenntnisse aus Experimenten mit Hefe lassen sich nun leichter auf höhere Organismen übertragen“, erklärt der Forscher. Bei Vielzellern wie dem Menschen ist die fehlerhafte Aufteilung von Chromosomen häufig Ursache unterschiedlicher Krebsformen.

Gemeinsam an einem (Chromosomen) – Strang ziehen

Eines der neu klassifizierten Proteine, Cnn1, hat sich im Laufe der Studie als besonders interessant herausgestellt. Es bindet direkt an das Kinetochormolekül Ndc80, welches den Kontakt mit dem Spindelapparat gewährleistet. Interessanterweise formt dieser Kontakt aber nicht primär die Andockstelle, sondern spielt erst dann unterstützend eine Rolle, wenn die Chromosomen in Richtung Spindelpol gezogen werden. “Es könnte sich bei dieser Interaktion um eine Art Sicherheitsmechanismus handeln. Dieser wird augenblicklich wirksam, wenn besonders starke Zugkräfte auf die Chromosomen wirken.“ vermutet Stefan Westermann.
Die Arbeit “CENP-T proteins are conserved centromere receptors of the Ndc80 complex” von (Schleiffer et al.) erscheint am 6. Mai 2012 als advance online publication bei Nature Cell Biology (DOI 10.1038/ncb2493).

Über das IMP:
Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie betreibt in Wien biomedizinische Grundlagenforschung. Hauptsponsor ist der internationale Unternehmensverband Boehringer Ingelheim. Mehr als 200 ForscherInnen aus über 30 Nationen widmen sich am IMP der Aufklärung grundlegender molekularer und zellulärer Vorgänge, um komplexe biologische Phänomene im Detail zu verstehen. Die bearbeiteten Themen umfassen die Gebiete der Zell- und Molekularbiologie, Neurobiologie, Krankheitsentstehung, Bioinformatik. Das IMP ist Gründungsmitglied des Campus Vienna Biocenter.

Kontakt:
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