Harnblasenkrebs: Ultra-langsames Enzym erhöht Rückfallrisiko

Dr. Silvia Selinski @IfADo

Tabakrauch, Farben und Lacke: Das Entgiftungsenzym N-Acetyltransferase 2, kurz NAT2, inaktiviert krebserzeugende aromatische Amine. Diesen chemischen Stoffen sind wir heutzutage meist beim Rauchen von Zigaretten ausgesetzt – früher aber auch am Arbeitsplatz. Das wichtige Enzym NAT2 ist vorwiegend in der Leber aktiv.

Allerdings sind verschiedene Polymorphismen des NAT2-Gens bekannt, welche die Enzymaktivität beeinflussen und damit das Krebsrisiko begünstigen können – das wichtigste Beispiel ist der Harnblasenkrebs. Ist die Aktivität des Enzyms verlangsamt, können krebserzeugende Stoffe nur in geringerem Maße unschädlich gemacht werden.

Als Folge entstehen mehr krebserzeugende Stoffwechselprodukte, die das Gewebe schädigen können. Aufgrund der Stoffwechselgeschwindigkeit wird generell in langsame und schnelle Acetylierer unterschieden. In rund der Hälfte der europäischen Bevölkerung sind die langsamen NAT2-Genvarianten zu finden.

Ein Forscherteam um die IfADo-Wissenschaftlerin Dr. Silvia Selinski hat nun erstmals eine Untergruppe der langsamen Acetylierer in einer Studie zum Verlauf von Harnblasenkrebserkrankungen untersucht – den ultra-langsamen NAT2-Genotyp (NAT2*6A/*6A). Dieser liegt bei rund acht Prozent der Europäer und bei rund zehn Prozent der Harnblasenkrebspatienten vor. Dieser ultra-langsame Genotyp weist im Vergleich zu den anderen langsamen Genotypen eine um rund ein Drittel geringere Stoffwechselaktivität auf.

Konkret ging es um die Fragestellung, ob und wie sich langsame und ultra-langsame NAT2-Genotypen auf das Rückfallrisiko und die Dauer der rückfallfreien Zeit auswirken. Dazu wurde der Krankheitsverlauf von 756 Patienten mit Harnblasenkrebs aus urologischen Kliniken in Neuss, Lutherstadt Wittenberg und Dortmund untersucht. Die Forscher haben sich dabei nur auf die 586 Patienten mit dem deutlich häufigeren (rund 80 Prozent aller Harnblasenkarzinome) oberflächlichen Harnblasenkrebs konzentriert.

Die Befunde wurden jetzt im renommierten Journal ‚European Urology’ publiziert: Der untersuchte ultra-langsame NAT2-Genotyp zeigte im Vergleich mit langsamen und schnellen Acetylierern ein signifikant höheres Rückfallrisiko sowie eine kürzere rückfallfreie Zeit. Das Rückfallrisiko der ultra-langsamen Acetylierer war fast doppelt so hoch wie das der schnellen Acetylierer (1,9-faches Risiko). Noch höher war das Rückfallrisiko bei Rauchern (2,4-faches Risiko).

Rückfälle traten im Schnitt nach etwa acht Monaten und damit knapp drei Monate früher auf. Dieses Wissen ist für die individuelle Therapie von Patienten mit ultra-langsamer NAT2-Genvariante interessant, beispielsweise bei der Anpassung von Untersuchungsintervallen nach überstandener Tumorerkrankung. Folgestudien müssen u.a. klären, ob es neben NAT2 weitere Faktoren für Risikopatienten mit Harnblasenkrebs gibt.

Zur Publikation:
Silvia Selinski, Holger Gerullis, Thomas Otto, Emanuel Roth, Frank Volkert, Daniel Ovsiannikov, Johannes Salem, Oliver Moormann, Berit Christine Geis, Hartmut Niedner, Meinolf Blaszkewicz, Jan G. Hengstler, Klaus Golka (2016): Ultra-slow N-Acetyltransferase 2 Is Associated with Recurrence-free Time in Bladder Cancer Patients. In: European Urology. DOI: 10.1016/j.eururo.2016.12.007

Ansprechpartner:
Dr. Silvia Selinski
Arbeitsgruppen „Systemtoxikologie“ und „Klinische Arbeitsmedizin“
Tel.: +49 / 231 1084 216
E-Mail: selinski@ifado.de

Das IfADo – Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund erforscht die Potenziale und Risiken moderner Arbeit auf lebens- und verhaltenswissenschaftlicher Grundlage. Aus den Ergebnissen werden Prinzipien der leistungs- und gesundheitsförderlichen Gestaltung der Arbeitswelt abgeleitet. Das IfADo hat mehr als 200 Mitarbeiter/innen aus naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen. Das Institut ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, die 91 selbstständige Einrichtungen umfasst. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.600 Personen, darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,7 Milliarden Euro.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=10.1016%2Fj.eururo.2016.12.007 Die Studie

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