Großer Fischzug im „DNA-Teich“

Selbst aus Knochen von Museumstieren lässt sich das Erbgut rekonstruieren. Fotos: IZW/Daniel Zupanc, CERoPath

Welcher Virus plagt den Elefanten? Welcher Bakterien-Typ löst schwere Lungenerkrankungen bei Europäischen Feldhasen aus? Molekularbiologische Analysen von Gewebeproben stellen Forscher immer wieder vor das gleiche Problem: Wie fischt man gezielt nur das Genom eines Krankheitserregers aus dem Erbgut-Gemisch des Patienten und seiner mikrobiellen Mitbewohner? „Sehr einfach“, sagt Alex Greenwood vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin.

„Wir bieten dem aufbereiteten DNA-Gemisch eine kurze einzelsträngige Basensequenz quasi als Wurm an. Darauf ‘beißt‘ nicht nur die komplementäre Sequenz an, sondern nach und nach viele weitere angrenzende Abschnitte.“ Es bedarf nicht einmal einer neuen Methode dafür. Die sogenannte „Hybridisation Capture Technik“ bietet bereits alles, was nötig ist. Lediglich auf die anschließende Datenanalyse kommt es an.

Durch Zufall entdeckte Greenwoods Doktorand Kyriakos Tsangaras den zusätzlichen Nutzen von Hybridisation Capture. Diese Technologie basiert auf winzigen magnetischen Kügelchen, an die kurze zielspezifische Sequenzen von wenigen Basenpaaren (Oligonucleotide) gebunden werden.

Werden die so bestückten Kügelchen nun in einen Proben-Mix aus einzelsträngigen DNA-Fragmenten gegeben, docken nur die gesuchten komplementären Sequenzen an und kurze doppelsträngige DNA-Abschnitte entstehen. Mit einem Magneten werden die Kügelchen nun wieder aus der Probe gezogen und nicht angedockte Fragmente abgespült. Dann werden die kurzen Doppelstränge von den Magneto Beads gelöst und sequenziert.

Tsangaras wollte eigentlich nur eine bestimmte Sequenz der in Mitochondrien enthaltenen DNA verschiedener südostasiatischer Nagetiere vergleichen. Dafür setzte er eine rund tausend Basenpaare lange Sequenz zum Einfangen (Capturing) von DNA ein. „Ja, wir haben die Sequenz“, berichtete er anschließend Greenwood. „Aber noch sehr viel mehr!“

Die Analyse der Sequenzen und der Abgleich mit Referenzdaten ergab, dass er das komplette Mitochondrien-Genom eines Nagers aus dem „DNA-Teich“ gefischt hatte. Das ergibt überhaupt keinen Sinn, war Greenwoods erster Gedanke. Kontrollversuche brachten jedoch das gleiche verblüffende Ergebnis. Greenwood bat Tom Gilbert vom Center of GeoGenetics in Kopenhagen bei der Analyse des Phänomens um Mithilfe. Verschiedene Theorien wurden aufgestellt und wieder verworfen. Übrig blieb das Naheliegenste – es musste eine Kettenreaktion gegeben haben.

„Bildlich gesprochen biss zuerst der gesuchte Fisch an – die komplementäre Oligonucleotidsequenz dockte an. Dann biss ihm ein zweiter quasi in den Schwanz, diesem ein dritter und so weiter.“ In der Probe hatte es vor der Aufbereitung einmal intakte Doppelhelices gegeben, die nun in Fragmenten mit unterschiedlichen Längen vorlag. Da einzelsträngige DNA die Fähigkeit hat, sich spontan mit dem komplementären Strang zu verbinden, passierte einfach folgendes: Nachdem das komplementäre Fragment aus Strang A an den „Köder“ gebunden hatte, heftete sich nun das angrenzende Gegenstück aus Strang B an das heraushängende Ende. Daran wieder eines von A, dann von B, von A… und so weiter.

Das ist so simpel und im Grunde schon Schulbuchwissen: Warum hat das zuvor niemand beobachtet? „Wer nur Tausend Basenpaare sucht, schaut meist nur nach, ob er sie gefunden hat. Alles was außerdem entsteht, wird meist als Schrott abgetan“, sagt Greenwood. „CapFlank“ nannten die Autoren diesen „Beifang“-Prozess, bei dem ein einzelnes DNA-Fragment in einer Kettenreaktion überlappende benachbarte Sequenzen einfängt. Mit einem ganz kleinen Fragment lässt sich also sehr viel genetische Information gewinnen.

CapFlank eröffnet ganz neue Möglichkeiten, zum Beispiel bei der genetischen Analyse von Krankheitserregern. „Wir können kurze konservierte Gensequenzen nutzen, um das Genom (oder zumindest große Teile) von krankheitserregenden (Pathogenen)-Varianten, etwa von Influenzaviren, oder ganz neuen Erregern zu gewinnen“, erklärt Greenwood. Sein Team will nun zunächst nach einfachen und gut-beschriebenen DNA-Viren wie dem Elefanten-Herpes-Virus angeln.

Selbst für stark fragmentierte alte DNA, etwa aus Knochen von Museumstieren, die häufig von Mikroben- und menschlicher Erbsubstanz stark verunreinigt ist, eignet sich die Methode, wie Greenwoods Mitarbeiter an Proben ausgestopfter Museumskoalas zeigen konnten. Am besten funktioniert CapFlank allerdings bei frischer DNA. Von dem Darmbakterium Escherichia coli aus einer menschlichen Urinprobe fischten die Forscher 90 Prozent des Genoms am Stück heraus.

Publikation:
Tsangaras K, Wales N, Sicheritz-Pontén T, Rasmussen S, Michaux J, Ishida Y, Morand S, Kampmann M, Gilbert MTP, Greenwood AD (2014): Hybridization capture using short PCR products enriches small genomes by capturing flanking sequences (CapFlank). PLOS ONE, PONE-D-14-23770R2 10.1371/journal.pone.0109101

Kontakt:
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW)
in Forschungsverbund Berlin e.V.
Alfred-Kowalke-Str. 17
10315 Berlin
Presseanfragen:
Steven Seet, +49 30 5168 125, seet@izw-berlin.de
Anke Schumann, +49 30 5168 127, schumann@izw-berlin.de
Wissenschaftliche Fragen:
Prof. Alex D. Greenwood, +49 30 5168 255, greenwood@izw-berlin.de

http://www.izw-berlin.de

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