Genetische Lesezeichen programmieren Krebszellen

Immun-Fluoreszenzfärbung, um die Differenzierung einer Stammzelle festzustellen. Fett-Tropfen (rot) sind charakteristisch für Fettzellen, die aus den Stammzellen entstanden sind. Die noch undifferenzierten Zellen sind durch grüne Fluoreszenz in den Zellkernen zu erkennen.<br>Foto: O. Karpiuk<br>

Krebs entsteht durch Veränderungen am Erbgut der Zelle, der Desoxyribonukleinsäure (DNA). Diese Erkenntnis gilt schon lange als gesichert.

Göttinger Krebsforscher um Prof. Dr. Steven A. Johnsen aus der Abteilung Molekulare Onkologie (Direktor: Prof. Dr. Matthias Dobbelstein) der Universitätsmedizin Göttingen haben in einer Studie einen Grund dafür gefunden, warum die DNA nicht alleine für das Verhalten der Zelle ausschlaggebend ist. Auch Veränderungen an DNA-gebundenen Eiweißmolekülen entscheiden darüber, ob Krebs entsteht. Diese Veränderungen dienen als „Lesezeichen“ in der Zelle. Sie legen fest, welche DNA-Abschnitte abgelesen werden, um die Bestandteile einer Zelle zusammenzubauen.

Die neu gewonnen Erkenntnisse könnten dabei helfen, die Therapie von Krebs und Osteoporose langfristig zu verbessern. Die Ergebnisse der Studie sind in der Juni-Ausgabe der Fachzeitschrift „Molecular Cell“ veröffentlicht. Erstautorin ist Oleksandra Karpiuk, Doktorandin des renommierten Master/PhD-Programms Molecular Biology und Stipendiatin des Dorothea Schlözer-Programms der Georg-August-Universität Göttingen.

Originalveröffentlichung: Oleksandra Karpiuk, Zeynab Najafova, Frank Kramer, Magali Hennion, Christina Galonska, Annekatrin König, Nicolas Snaidero, Tanja Vogel, Andrei Shchebet, Yvonne Begus-Nahrmann, Moustapha Kassem, Mikael Simons, Halyna Shcherbata, Tim Beissbarth and Steven A. Johnsen (2012): The Histone H2B Monoubiquitination Regulatory Pathway is Required for Differentiation of Multipotent Stem Cells. Molecular Cell, Mol Cell. 2012;46 705-713, DOI 10.1016/j.molcel.2012.05.022

UMBAUPROZESSE DER ZELLE ENTDECKT
Stammzellen sind besondere Zellen im Körper, die sich zu verschiedenen Geweben entwickeln können. In welche Art von Gewebe sich die Zelle umwandelt, wird zum einen durch die Gene gesteuert und zum anderen durch bestimmte Eiweiße. Schon frühere Studien der Arbeitsgruppe zeigten, dass ein bestimmtes genetisches Lesezeichen, eine chemische Veränderung des Proteins Histon 2B, bei fortschreitender Krebserkrankung in den Tumorzellen entfernt wird (Prenzel, et al., Cancer Research 2011, 71:5739-5753). Jetzt fanden die Forscher heraus, dass dieselbe Veränderung eine Rolle in der Weiterentwicklung von Stammzellen spielt. Wie ein Lesezeichen führt es dazu, dass sich eine zunächst „unbeschriebene“ Zelle, eine Stammzelle, zu einer Knochen- oder Fettzelle entwickelt. Das bedeutet: Die gleichen Veränderungen am Chromatin, die aus Stammzellen differenzierte Zellen entstehen lassen, werden während der Entstehung bösartiger Tumoren verhindert. Die Tumorzellen nehmen die Eigenschaften einer Stammzelle an und werden dadurch bösartig. Das Lesezeichen erscheint während der Entwicklung von Stammzellen, geht aber in Tumorzellen wieder verloren. Diese Vorgänge sind wesentlich für Erkrankungen wie Krebs oder Osteoporose.
INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT
Prof. Dr. Steven A. Johnsen, Leiter der Studie, hat im Göttinger Zentrum für Molekulare Biowissenschaften (GZMB) ein internationales Team zusammengestellt, um die Zusammenhänge der Zelldiffenzierung zu erforschen. An der Studie beteiligt waren Forscher der Universitätsmedizin Göttingen, der Göttinger Max-Planck-Institute und der süddänischen Universität in Odense. „Dieser Erfolg zeigt, wie die Göttinger Instrumente zur Forschungsförderung positiv zusammenwirken“, sagt Prof. Dr. Matthias Dobbelstein, Direktor der Abteilung Molekulare Onkologie der Universitätsmedizin Göttingen.
„Diese einzigartige chemische Veränderung von Histon 2B könnte eine allgemeine Eigenschaft differenzierter Zellen sein“, sagt Prof. Dr. Steven Johnsen. „Tumorzellen müssen offenbar diese Lesezeichen erst loswerden, um wirklich gefährlich zu werden. In Göttingen haben wir die Basis für unsere künftige Forschung geschaffen“, betont Johnsen. „Sowohl in Hamburg als auch in Göttingen werden die Ergebnisse vertieft. Ich freue mich auch in Zukunft auf die Zusammenarbeit mit den Göttinger und Hamburger Kollegen.“ Professor Johnsen hat zum 1. Mai 2012 eine Professur am Institut für Tumorbiologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf angetreten.

WEITERE INFORMATIONEN:
Universitätsmedizin Göttingen – Georg-August-Universität
Abteilung Molekulare Onkologie
Direktor: Prof. Dr. Matthias Dobbelstein, Telefon 0551 / 39-13860, mdobbel@gwdg.de

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Institut für Tumorbiologie
Prof. Dr. Steven A. Johnsen, Telefon 040 / 7410 57495, s.johnsen@uke.de

Media Contact

Stefan Weller Uni Göttingen

Weitere Informationen:

http://www.gwdg.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neues topologisches Metamaterial

… verstärkt Schallwellen exponentiell. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am niederländischen Forschungsinstitut AMOLF haben in einer internationalen Kollaboration ein neuartiges Metamaterial entwickelt, durch das sich Schallwellen auf völlig neue Art und Weise…

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Partner & Förderer