Forschung zu TGN1412 – Fc:Fcγ-Rezeptor Interaktion: Starke Bindung heißt nicht starker Effekt

Eine stetig wachsende Anzahl unterschiedlicher monoklonaler Antikörper (mAk) wird zur Beeinflussung des Immunsystems und zur Behandlung einer ebenfalls stetig steigenden Zahl von Erkrankungen eingesetzt. Antikörper, auch als Immunglobuline (Ig) bezeichnet, ähneln strukturell einem Y.

An den kurzen, oberen Armen befinden sich Bindungsstellen, die an spezifische Zielstrukturen, sogenannte Antigene binden. Dieser Teil ist sehr variabel, da die Antikörper für ganz unterschiedliche Antigene spezifisch sind. Den „Fuß“ des Y bildet der Fc-Teil, der weniger variabel ist und die Ig-Subklasse eines Antikörpers bestimmt.

Der Fc-Teil vermittelt die Effektorfunktion eines Antikörpers wie beispielsweise die Komplementaktivierung oder die Bindung an Fc-Rezeptoren (FcR). Die unterschiedlichen Fc-Teile der verschiedenen Ig-Subklassen unterscheiden sich in ihrer Aminosäuresequenz und damit auch in ihren Bindungseigenschaften gegenüber den FcR.

Bislang geht man im Allgemeinen davon aus, dass eine starke Fc:FcγR-Interaktion auch eine starke Effektorfunktion vermittelt, eine eher schwach ausgeprägte Fc:FcγR-Interaktion hingegen keine oder nur eine zu vernachlässigende Effektorfunktion vermitteln kann. Entsprechend der Affinitäten der FcγR für bestimmte IgG-Subklassen und der damit verbundenen Effekte werden für unterschiedliche Indikationen entsprechend mAk unterschiedlicher IgG-Subklassen eingesetzt.

So wird beispielsweise bei der Krebstherapie mit Antikörpern eine Fc:FcγR-vermittelte Zelltoxizität zur Bekämpfung von Krebszellen gewünscht und hierfür die Subklasse IgG1 am häufigsten eingesetzt. Dagegen werden IgG2 oder IgG4 dann verwendet, wenn die Fc:FcγR-Interaktion nicht erwünscht ist. Dies ist häufig der Fall, wenn es z.B. um die Neutralisation der Zielstruktur geht.

TGN1412 ist ein mAk, der dramatische Berühmtheit erlangte: TGN1412 war zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis und einer bestimmten Form der Leukämie entwickelt worden. 2006 wurde der Antikörper im Vereinigten Königreich im Rahmen einer sogenannten „First-in-Man“ Studie (Erstan-wendung beim Menschen) sechs gesunden Probanden verabreicht.

Bei allen Probanden kam es bereits kurz nach der Gabe von TGN1412 zu einer massiven Freisetzung von immunologischen Botenstoffen (Zytokinsturm) mit lebensbedrohlichen Symptomen. In den vorangegangenen Tierversuchen – wichtiger Bestandteil der geforderten Untersuchungen vor einer Erstanwendung beim Menschen – waren keine Anzeichen für Risiken gefunden worden. Die schweren immunologischen Reaktionen kamen daher völlig überraschend.

Intensiv werden seitdem die Mechanismen erforscht, die diese unerwartete Reaktion verursacht haben. TGN1412 wurde als IgG4-mAk entwickelt, da für seine geplante Wirkungsweise nur die Bindung an die Zielstruktur (CD28 auf T-Zellen) gewünscht war, nicht aber eine Interaktion mit FcγR.

Untersuchungen im Nachgang der katastrophalen „First-in-Man“-Studie mit TGN1412 konnten aber zeigen, dass zumindest in vitro genau solche Fc:FcγR-Interaktionen entscheidend zur Ausbildung des Zytokinsturms beitragen.

Forscherinnen und Forscher um Prof. Zoe Waibler, Leiterin des Fachgebiets Produktprüfung immunologischer Arzneimittel der Abteilung Immunologie des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), haben nun unerwartete Forschungsergebnisse erzielt: Zunächst konnten sie nachweisen, dass die bislang bekannten Muster von Fc:FcγR-Interaktionen auch auf TGN1412 zutreffen. TGN1412 als Mitglied der IgG-Suklasse 4 interagiert kaum mit niederaffinen FcγR, wird jedoch vom hochaffinen FcγRI gebunden.

Überraschend war jedoch, dass die fast nicht nachweisbare Interaktion von TGN1412 mit dem niederaffinen FcγRII eine starke Effektorfunktion, nämlich die Proliferation (Vermehrung) von T-Zellen, vermittelt. Umgekehrt ruft die vergleichsweise starke Interaktion zwischen TGN1412 und dem hochaffinen FcγRI eine nur sehr geringe T-Zell-Proliferation hervor. Diesen Effekt haben die Forscher sowohl mit transgenen Zelllinien beobachtet als auch mit primären menschlichen Blutzellen.

„Diese Ergebnisse tragen zu einem noch besseren Verständnis immunologischer Prozesse bei und sollen ebenso wie regulatorische Maßnahmen dazu beitragen, dass sich solche Katastrophen nicht wiederholen“, kommentiert Waibler die unerwarteten Befunde.

Das Paul-Ehrlich-Institut in Langen bei Frankfurt am Main ist als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Es erforscht, bewertet und lässt biomedizinische Human-Arzneimittel und Veterinär-Impfstoffe zu und ist für die Genehmigung klinischer Prüfungen sowie die Pharmakovigilanz – Erfassung und Bewertung möglicher Nebenwirkungen – zuständig. Die staatliche Chargenprüfung, wissenschaftliche Beratung/Scientific Advice und Inspektionen gehören zu den weiteren Aufgaben des Instituts. Unverzichtbare Basis für die vielseitigen Aufgaben ist die eigene experimentelle Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin und der Lebenswissenschaften. Das Paul-Ehrlich-Institut mit seinen rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nimmt zudem Beratungsfunktionen in nationalem (Bundesregierung, Länder) und internationalem Umfeld (Weltgesundheitsorganisation, Europäische Arzneimittelbehörde, Europäische Kommission, Europarat und andere) wahr.

Dudek S, Weißmüller S, Anzaghe M, Miller L, Sterr S, Hoffmann K, Hengel H, Waibler Z (2019): Human Fcγ receptors compete for anti-CD28 monoclonal antibody TGN1412 binding which determines the antibody’s effector function. Eur J Immunol. 2019 Apr 19. DOI: 10.1002/eji.201847924

http://doi.wiley.com/10.1002/eji.201847924 : Abstract der Publikation

https://bit.ly/2KTFKRr : Diese Pressemitteilung auf den Seiten des Paul-Ehrlich-Instituts

Media Contact

Dr. Susanne Stöcker idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer