Forscher weisen Selektionsmechanismen bei der Vererbung nach

Dr. Frank Chan, Forschungsgruppenleiter am Friedrich-Miescher-Laboratorium Jörg Abendroth/Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie

Forscher am Friedrich-Miescher-Laboratorium haben untersucht, wie sich Erbanlagen unter Bedingungen starker Selektion verändern. Bei einem Zuchtexperiment mit Mäusen selektierten sie systematisch Nachkommen mit längeren Unterschenkeln, kreuzten sie erneut und verfolgten anhand neuester Sequenzierungsmethoden, wie sich die Gen-Frequenz zwischen Urvätern und Nachfolgegenerationen verändert.

Unter der Großzahl unterschiedlicher Gen-Varianten entdeckten sie auch bestimmte Gen-Schalter, die je nach Genvariante gezielt das Längenwachstum der Extremitäten an- oder abschalten. Bisher konnte in der Evolutionsbiologie diese Funktionsweise nicht näher geklärt werden. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachpublikation eLife veröffentlicht.

Seit Jahrtausenden nutzt der Mensch in der Landwirtschaft Mechanismen künstlicher Selektion. Vieles von dem, was wir an Nahrung zu uns nehmen, wurde in Zuchtverfahren über Generationen hinweg bewusst verändert.

Es sind in der Regel tausende kleinster Mutationen an zahlreichen Genen gleichzeitig, die ein Merkmal ausprägen. Für eine nähere wissenschaftliche Untersuchung dieser Erbmechanismen konnten Analysen von Wildbeständen keine weitere Erkenntnis liefern, da Informationen der Urpopulation nicht vorhanden und eine vergleichende Untersuchung des Erbguts nicht möglich ist.

Im Laborexperiment hingegen können mit Maßnahmen kontrollierter Selektion die Merkmale zwischen Urvätern und Nachfolgegeneration sehr exakt bestimmt werden.

Die Autoren Castro, Yancoskie, et al. haben im Longshanks-Experiment Antworten auf die Frage gesucht, ob und wie sich unter Bedingungen starken Selektionsdrucks bei Mäusen das Längenwachstum ihrer Unterschenkel verändert. Dabei zeigten die Forscher aus Daten von mehr als 17 untersuchten Generationen, dass bestimmte Schaltstellungen unterschiedlicher Gene eine zentrale Rolle beim Längenwachstum spielen.

„In unserer Untersuchung fiel uns ein Gen auf, das eine wesentliche Funktion beim Längenwachstum übernahm. Eine seltene Kopie des Gens Nkx3-2 enthält zentrale Erbinformationen, die zum einen die Länge der Unterschenkel bestimmen, zum anderen aber auch zu bedeutenden Defekten führen können. Beim Menschen können Mutationen dieses Gens krankhaft lange Arme und Beine verursachen. Bei Mäusen zeigte sich dieses Phänomen nicht, es kommen ausschließlich Nachfahren mit grundsätzlich längeren, aber nicht krankhaft langen Extremitäten zur Welt“, kommentiert Frank Chan, Forschungs- und Gruppenleiter am Friedrich-Miescher-Laboratorium in Tübingen die Ergebnisse.

Aufbauend auf den neuartigen Erkenntnissen des Longshanks-Experiments kann nun weiterführenden Fragestellungen nachgegangen werden. Zum Beispiel in Anwendungsbereichen des Naturschutzes und der Landwirtschaft. Im Naturschutz erlauben die Ergebnisse eine Empfehlung zum Ausbau natürlicher Schutzkorridore bedrohter Arten, etwa von Naturreservaten.

Wie die Ergebnisse zeigen, können sich kleine Populationen zumindest für begrenzte Zeit schnell neuen und veränderten Umweltbedingungen anpassen. Unter dauerndem und starkem Selektionsdruck jedoch erschöpft sich die Anpassungsfähigkeit dieser Populationen, woraus sich die Bedrohung der Artenvielfalt erklärt. In der Landwirtschaft könnten die Erkenntnisse neue Zuchtverfahren erlauben, die gezielt auf Anforderungen klimatischer Veränderungen ausgerichtet sind.

Hinweis für Journalisten:
Die hier beschriebene Studie wurde von der Max-Planck-Gesellschaft finanziert. Die Originalpublikation ist auf den Seiten der internationalen Fachzeitschrift eLife veröffentlicht (eLife 2019;8:e42014 DOI: 10.7554/eLife.42014).

Ansprechpartner:
Dr. Frank Chan
Forschungs- und Gruppenleiter am Friedrich-Miescher-Laboratorium
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E-Mail: frank.chan@tuebingen.mpg.de

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Max-Planck-Campus Tübingen
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An integrative genomic analysis of the Longshanks selection experiment for longer limbs in mice; eLife 2019;8:e42014 DOI: 10.7554/eLife.42014

https://elifesciences.org/articles/42014

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