Forscher der Uniklinik Köln entdecken neues Gen und Pathomechanismus für das Joubert-Syndrom

Ein internationales Forscherteam um den Humangenetiker PD Dr. Hanno J. Bolz vom Institut für Humangenetik und PD Dr. Bernhard Schermer, Leiter des Nephrologischen Forschungslabors an der Uniklinik Köln, identifizierten und charakterisierten jetzt einen Defekt im Gen KIF7, der einen bisher unbekannten Pathomechanismus aufdeckt.

Ausgangspunkt der Studie, die jetzt im Journal of Clinical Investigation veröffentlich wurde, sind Untersuchungen an einer ägyptischen Familie. Bei den Mitgliedern konnten Mutationen in den zehn bereits bekannten Joubert-Syndrom-Genen ausgeschlossen werden. „Solche Familien sind aufgrund der häufig bestehenden elterlichen Blutsverwandtschaft besonders geeignet, um neue Gene für autosomal-rezessiv vererbte Erkrankungen zu identifizieren“, so PD Dr. Bolz.

Die Genetiker lokalisierten die Erkrankung auf Chromosom 15 (Bezeichnung des neuens Genorts: JBTS12) und fanden dort schwerwiegende Mutationen im KIF7-Gen in der ägyptischen Familie sowie bei weiteren Patienten. KIF7 ist ein Motorprotein des Ziliums.

Zilien sitzen wie kleine Antennen auf der Oberfläche fast aller Zellen des menschlichen Körpers. Ihre genaue Funktion zu ergründen, ist derzeit das Ziel vieler Labore weltweit. Eines scheint aber bereits gesichert: Zilien sind sensorische Organellen, die wie Antennen Signale aus der Umgebung der Zelle in das Zellinnere weiterleiten. Diese Zellstruktur ist in den vergangenen zehn Jahren in das Interesse biomedizinischer Forschung gerückt. Immer mehr Erkrankungen erweisen sich als sogenannte „Ziliopathien“, da sie auf Defekten von Proteinen des Ziliums beruhen.

Bei einem Patienten fand sich eine KIF7-Mutation in Kombination mit zwei Mutationen in einem anderen Joubert-Gen, TMEM67. „Es wird zunehmend deutlich, dass bei Patienten mit Ziliopathien häufig Veränderungen in mehreren Genen zu beobachten sind“, erläutert PD Dr. Hanno J. Bolz. Erst 2010 beschrieb die Gruppe der Kölner Forscher dieses Phänomen der „oligogenen Vererbung“ bei einer anderen Ziliopathie, dem Usher-Syndrom, ebenfalls im Journal of Clinical Investigation.

„Chemische Substanzen, etwa Hormone oder Cytokine, docken an Rezeptoren im Zilium an und sorgen so für Wirbel in der Zelle“, so PD Dr. Bernhard Schermer. „Darüber hinaus nimmt man an, dass in der Niere der vorbei fließende Urin die Zilien umbiegt und dass so die Zellen Informationen über Stärke oder Richtung des Flusses erhalten.“

In den letzten Jahren wurde bereits klar, dass KIF7 eine Rolle im Sonic Hedgehog-Signalweg spielt, der maßgeblich die embryonale Entwicklung steuert und dessen Rezeptoren exklusiv im Zilium sitzen. „Unsere Daten zeigen eine Funktion von KIF7, die weit über das Zilium und den Hedgehog Signalweg hinausgeht und viel grundlegendere zellbiologische Prozesse betrifft: Das gezielte Ausschalten des KIF7-Gens in Zellen führt zu einer leichten Störung der Zilienbildung, bewirkt aber gleichzeitig dramatische Veränderungen weiterer Organellen. Als gemeinsame Ursache hierfür fanden wir Störungen im Mikrotubulus-Zellskelett.“

Dieses Zytoskelett reguliert wichtige Transportwege durch die Zelle und beeinflusst so auch die Form und Ausrichtung von Zellen. „Wir gehen davon aus, dass die beobachteten Veränderungen einen neuen Pathomechanismus für das Joubert-Syndrom aufzeigen, der vielleicht auch weiteren Ziliopathien zu Grunde liegt“, so PD Dr. Bernhard Schermer abschließend.

An der Studie waren Wissenschaftler der Ain Shams-Universität in Kairo, der Universitätskinderklinik Zürich, der Kinderklinik der Medizinischen Universität Innsbruck, des DKFZ in Heidelberg, des Klinikums Oldenburg, des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (Campus Lübeck), sowie des Instituts für Radiologische Diagnostik der Kinderradiologie und des Instituts für Anatomie der Uniklinik Köln beteiligt.

Veröffentlichung:
Dafinger C, Liebau MC, Elsayed SM, Hellenbroich Y, Boltshauser E, Korenke GC, Fabretti F, Janecke AR, Ebermann I, Nürnberg G, Nürnberg P, Zentgraf H, Koerber F, Addicks K, Elsobky E, Benzing T, Schermer B, Bolz HJ. Mutations in KIF7 link Joubert syndrome with Sonic Hedgehog signaling and microtubule dynamics. J Clin Invest 2011.

Für Rückfragen:

PD Dr. Hanno Jörn Bolz
Institut für Humangenetik der Uniklinik Köln
(jetzt am Zentrum für Humangenetik, Bioscientia, Ingelheim)
Telefon: 06132 781-206
E-Mail: hanno.bolz@uk-koeln.de
PD Dr. Bernhard Schermer
Nephrologisches Forschungslabor
Klinik IV für Innere Medizin
Uniklinik Köln
Telefon: 0221 478-89030
E-Mail: bernhard.schermer@uk-koeln.de
Christoph Wanko
Pressesprecher
Uniklinik Köln
Telefon: 0221 478-5548
E-Mail: pressestelle@uk-koeln.de

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