Fische in Europas Hochgebirgsseen verweiblichen

Bachforelle (Salmo trutta fario) Copyright: Reinhard Lackner

Die Fische in Europas Hochgebirgsseen verweiblichen. Hormonell aktive Umweltgifte, die aus der untersten Schicht der Erdatmosphäre (Troposphäre) in diese entlegenen Ökosysteme gelangen, lassen Fischmännchen zu Weibchen werden.

In der Fachzeitschrift Nature Scientific Reports berichtet ein österreichisch-spanisches Forscherteam erstmals über diesen Zusammenhang zwischen vom Menschen verursachten Luftschadstoffeinträgen in Seen und der Verweiblichung von Fischen.

„Wir haben festgestellt, dass sogar in den abgelegensten Hochgebirgsseen in der Hohen Tatra sowie den Pyrenäen Fische einer dauerhaften Belastung an Umweltchemikalien ausgesetzt sind. Diese hormonwirksamen Umweltchemikalien wirken wie das weibliche Sexualhormon Östrogen. Junge, männliche Forellen reagieren besonders auf das Umweltgift Hexachlorbenzol (HCB) sehr rasch mit einsetzender Feminisierung“, sagt der österreichische Zoologie Reinhard Lackner von der Universität Innsbruck.

Verweiblichung im Gebirgssee – Eine Warnung

HCB und andere schwer abbaubare Chemikalien gelangen als schwerflüchtige Substanzen aus der Luft in Hochgebirgsseen. „Wenn männliche Fische solche hormonaktiven Stoffe mit ihrer Nahrung aufnehmen, wirken diese als endokrine Disruptoren. Das heißt, die normalen, hormongesteuerten Abläufe im Körper werden gestört. Sehr vereinfachend könnte man sagen, die männlichen Fische schlucken unfreiwillig die Antibabypille,“ sagt Lackner. Weibliche Fische halten laut dem Forscher dagegen von Natur aus höhere Östrogenkonzentrationen aus.

Zwar seien aufgrund des bisher detektierten Grades der Verweiblichung die Populationen in ihrem Fortbestand in den untersuchten Seen in Spanien, Polen und der Slowakei „nicht gefährdet, auch der Verzehr solcher Fische gilt nach derzeitigem Wissensstand noch als unbedenklich, aber insgesamt ist das eine ernste Warnung. Schließlich gilt das Hormonsystem von Vertebraten – zu denen auch die Fische zählen – jenem des Menschen als sehr ähnlich.

Die vielfältigen Wirkungen von Östrogen auf den Organismus sind dabei nur ein Aspekt. Organische Chlorverbindungen gelten im allgemeinen als krebserregend, fruchtschädigend und neurotoxisch. Viele ihrer Wirkungen auf Mensch und Tier sind aber weitgehend unerforscht“, betont der Zoologe. Der Wissenschaftler (62) beschäftigt sich seit 30 Jahren mit der Erforschung von Fischen.

Insgesamt nahm das Team rund um den Chemiker Joan O. Grimalt, Laborleiter des Institutes für Umwelt- und Wasserforschung in Barcelona, der dortigen umweltanalytischen Gruppe von Benjamin Piña, den Biologen Jordi Catalan vom Zentrum für Umweltforschung und Forstwirtschaft gemeinsam mit dem österreichischen Experten Reinhard Lackner von der Forschungsgruppe Ökotoxikologie (Leitung: Prof. Reinhard Dallinger) am Institut für Zoologie der Innsbrucker Alma Mater Fischpopulationen in neun Hochgebirgsseen in Spanien, Polen und der Slowakei in Lagen von 1.395 bis 2.688 Metern Seehöhe unter die Lupe.

Die Forscher entdeckten in Blut, Leber und Muskelgewebe der auch „Lachsfische“ genannten Salmoniden eine Reihe toxischer Stoffe wie Hexachlorbenzol (HCB), Alpha-Hexachlorocyclohexane (aHCH), Gamma-Hexachlorocyclohexane (gHCH – auch bekannt als Lindan), polychlorierte Biphenyle (PCB) sowie Dichlordiphenyltrichlorethan (ein Abbauprodukt des Insektizids DDT). Diese Substanzen binden bei Fischen in der Leber an den Östrogenrezeptor.

Die Forscher korrelierten daher die Konzentrationen der organischen Chlorverbindungen in den Fischen mit der Ausschüttung spezifischer Proteine für die Eibildung sowie Wachstum und Reproduktion. Diese werden über den auch bei männlichen Fischen vorhandenen Östrogenrezeptor gesteuert. „Äußerlich sieht man den feminisierten Männchen so gut wie nichts an, aber wir entdeckten in diesen Tieren in eindeutigen Korrelationen zur jeweiligen HCB-Belastung unter anderem erhöhte Konzentrationen von Vitellogenin.

Das ist ein Vorläufer des Eidotter-Proteines, das naturgemäß nur bei geschlechtsreifen Weibchen vorkommt“, sagt Lackner. HCB zählt zu den gefährlichsten Chemikalien überhaupt. Erst seit 2004 gelten im Rahmen des Stockholmer Übereinkommens fast weltweit Beschränkungen und ein Verwendungsverbot. Zuletzt war die lokale Freisetzung von HCB im österreichischen Bundesland Kärnten Thema.

Die Forscher gehen auf Basis der bisherigen Resultate von einem eindeutigen Zusammenhang zwischen solch hormonwirksamen Umweltchemikalien und der Verweiblichung von Fischen aus. In weiterer Folge „wollen wir besser verstehen lernen, wie die globale Zirkulation dieser Gifte in der Atmosphäre insgesamt abläuft. Bis zum Verwendungsverbot von HCB wurde diese Chemikalie sehr breit verwendet, und wie wir wissen, kommt es noch immer zu Freisetzungen“, betont der Zoologe.

Insgesamt schließt die Gruppe aus den jüngsten Daten, „dass die durch Schadstoffe aus der Atmosphäre entstehende Verweiblichung von Fischpopulationen in ausgesetzten Regionen Europas sowie insgesamt in entlegenen Regionen unseres Planeten anhaltend auftritt.“ Im Paper in Nature Scientific Reports setzt das Team weiters hinzu: „These results should be of general concern given the increasing endocrine disruption effect in human populations“ („Diese Ergebnisse sollten angesichts der zunehmenden Effekte hormonell aktiver Stoffe auf den Menschen von allgemeinem Interesse sein“).

Stichwort „Verweiblichung“

Umweltchemikalien können hormonähnliche Wirkungen entfalten und männliche Fische verweiblichen. Die ersten „Intersex-Fische“ wurden in den 1980er Jahren in Großbritannien entdeckt. Verantwortlich für den Geschlechtswechsel sind Umweltgifte, die hormongesteuerte Abläufe im Körper stören. Da die bisher beobachteten Effekte hauptsächlich auf östrogenartigen Wirkungen beruhen, fasst die Wissenschaft diese Phänomene unter dem Begriff „Verweiblichung“ zusammen. Das heißt, der „Intersex“ im See startet damit, dass männliche Fische durch die Einwirkung bereits geringster Mengen von HCB unter anderem mehr Vitellogenin bilden.

Publikation: Sergio Jarque, Laia Quirós, Joan O. Grimalt, Eva Gallego, Jordi Catalan, Reinhard Lackner, Benjamin Piña. Background fish feminization effects in European remote sites. Nature Scientific Reports 5/2015.

DOI: 10.1038/srep11292

Kontakt:
Dr. Reinhard Lackner
Institut für Zoologie
Abteilung Ökophysiologie
Technikerstrasse 25, A-6020 Innsbruck
Telefon: +43(0)512 507 51786
Mail: Reinhard.Lackner@uibk.ac.at
Web: http://www.uibk.ac.at/zoology

Mag.a Gabriele Rampl
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Abteilung Ökophysiologie
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