Finnische Fliegen halten keine Siesta

Fliegen, die am Äquator leben, sind nur in der Morgen- und Abenddämmerung aktiv; dazwischen ruhen sie. Fliegen aus Finnland hingegen drehen am frühen Nachmittag so richtig auf und bleiben dann bis zum Anbruch der Dunkelheit aktiv.

Es gibt weltweit mehr als 2.000 Taufliegen-Arten. Einige von ihnen leben vorwiegend in warmen Gefilden, andere sind eher in nördlichen Breiten beheimatet. „Wir wollten herausfinden, ob sich die innere Uhr der Nord-Arten von denen ihrer südlichen Verwandten unterscheidet“, erklärt Professor Charlotte Helfrich-Förster vom Biozentrum der Universität Würzburg. „Wir haben dazu zwei Taufliegen-Arten aus Finnland mit einer aus Tansania verglichen.“

Lange Siesta am Äquator

Die Wissenschaftler variierten im Labor die Länge der Hell- und Dunkelphasen, unter denen sie die Tiere hielten. In ihrem ersten Experiment folgten auf zwölf Stunden Tag zwölf Stunden Nacht. Diese Lichtverhältnisse entsprechen denen am Äquator, wo Tag und Nacht das ganze Jahr über ungefähr gleich lang sind.

Die afrikanischen Fliegen zeigten unter diesen Bedingungen ein charakteristisches Aktivitätsmuster: Sie waren nur in der Morgen- und Abenddämmerung aktiv; dazwischen ruhten sie. In der Natur ist eine solche Siesta sehr sinnvoll, da die Tierchen so die Tageshitze besser überstehen.

Die Zweiflügler aus Finnland ließen es dagegen morgens etwas ruhiger angehen, drehten dafür aber am frühen Nachmittag so richtig auf und blieben dann bis zum Anbruch der Dunkelheit aktiv. Auf eine Mittagspause verzichten sie weitgehend. Dies macht vom biologischen Standpunkt aus durchaus Sinn: Selbst im Sommer sticht in Nordskandinavien die Sonne selten so sehr, dass sie den Tieren gefährlich werden könnte.

Nun verlängerten die Wissenschaftler den Labortag: Sie ließen die Lampen für 20 Stunden brennen, bevor sie sie für vier Stunden ausschalteten. Die Tiere aus Tansania hielten daraufhin nicht etwa länger Pause, sondern wuselten schon lange vor der Abenddämmerung wieder los. Ihr Aktivitätspeak fiel nun also in eine Zeit, in der normalerweise noch brütende Hitze herrschen würde. Gäbe es in Tansania 20-Stunden-Tage, wäre ein solches Verhalten wohl lebensgefährlich.

Winzige Unterschiede im Fliegenhirn

Die innere Uhr der Süd-Fliegen ist also auf mehr oder weniger konstante Tageslängen getrimmt: Die Pause zwischen Morgen- und Abend-Aktivität ist stets ungefähr gleich lang. Die Finnen passten dagegen ihre Aktivität an die längeren Tage an: Sie nutzten die längere Helligkeits-Phase für eine noch ausgedehntere Futtersuche, die wieder erst mit Anbruch der Nacht endete. „Die Uhren beider Arten reagieren also augenscheinlich sehr unterschiedlich auf veränderte Hell-Dunkel-Phasen“, betont Charlotte Helfrich-Förster. „Wir haben uns gefragt, warum das so ist.“

Auf den ersten Blick ist der innere Zeitmesser aller drei Arten gleich aufgebaut: Sowohl die Taufliegen aus Finnland als auch die aus Tansania verfügen über dieselben Uhr-Neuronen – das sind die Nervenzellen im Gehirn, aus denen ihr Taktgeber besteht. Die Würzburger Forscher haben sich daher die Fliegenhirne genauer angeschaut. „Dabei konnten wir zeigen, dass die finnischen Arten in bestimmten Neuronen keinen Blaulichtrezeptor bilden – ganz im Gegensatz zu ihrer afrikanischen Verwandten“, sagt Helfrich-Förster. „Die betroffenen Nervenzellen haben also keinen Sensor für Tag oder Nacht.“ Anderen Neuronen fehlte ein Molekül namens PDF. PDF vermittelt normalerweise die empfangenen Hell-Dunkel-Signale an andere Zentren im Gehirn weiter.

Fliegen-Uhr verstellt

Aber sind es tatsächlich diese Unterschiede, die zu dem veränderten Aktivitätsmuster bei den skandinavischen Tierchen führen? Um diese Frage zu beantworten, „verstellten“ die Würzburger Wissenschaftler die innere Uhr der afrikanischen Taufliege. Durch einen genetischen Eingriff schalteten sie die Produktion des Blaulichtrezeptors in denjenigen Nervenzellen ab, in denen er auch bei den finnischen Fliegen fehlte. Ähnlich gingen sie für das PDF vor. Das Resultat dieser Manipulation war bemerkenswert: „Die Taufliegen aus Tansania zeigten in ihrer Aktivität nun einen ganz ähnlichen Rhythmus wie die aus Finnland“, betont Professor Helfrich-Förster. „Auch ihre Siesta war nicht mehr so ausgeprägt.“

Die Ur-Taufliege stammte vermutlich aus Afrika. Im Laufe der Zeit haben sich die Tiere dann auch in kühleren Breiten angesiedelt. Die Wissenschaftler nehmen an, dass sich in diesem Zuge auch ihre innere Uhr verändert hat. Die Tiere waren so an die im Jahresrhythmus stark schwankenden Tageslängen, aber auch die geringere Sonnenintensität besser angepasst.

Pamela Menegazzi, Elena Dalla Benetta, Marta Beauchamp, Matthias Schlichting, Ingolf Steffan-Dewenter und Charlotte Helfrich-Förster: Adaptation of Circadian Neuronal Network to Photoperiod in High-Latitude European Drosophilids; Current Biology; DOI: 10.1016/j.cub.2017.01.036

Kontakt

Prof. Dr. Charlotte Helfrich-Förster, Lehrstuhl für Neurobiologie und Genetik, T: (0931) 31-88823, E-Mail: charlotte.foerster@biozentrum.uni-wuerzburg.de

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Gunnar Bartsch Julius-Maximilians-Universität Würzburg

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