Extrem breite Infrarotspektren durch strukturelle Fluktuationen von Flüssigkeiten

Abb. 1: Die Hydratisierung von Protonen geht weit über das typische Textbuchbeispiel des Hydroniums hinaus. Bild: MBI

Das Proton (H⁺), der positiv geladene Kern des Wasserstoffatoms, nimmt eine zentrale Rolle bei vielen Vorgängen in der Natur ein. In flüssigem Wasser wird der Transport von elektrischer Ladung durch die Bewegung von Überschuss-Protonen dominiert während die Bewegung von Protonen durch Zellmembranen die Grundlage der Zellatmung darstellt.

Trotz dieser weitreichenden Relevanz sind die molekulare Natur und Dynamik von Überschuss-Protonen in Wechselwirkung mit Wassermolekülen ihrer Umgebung nicht vollständig verstanden. Schwingungs-, namentlich Infrarotspektroskopie hat dazu beigetragen, die molekularen Strukturen hydratisierter Überschuss-Protonen als Eigen- und Zundel-Kationen zu identifizieren.

Diese Strukturen zeichnen sich durch eine überaus breite, unstrukturierte Infrarotabsorption aus, das sogenannte „Zundelkontinuum“ (Abbildung 1). Sie sind in flüssigem Wasser instabil, d.h. wandeln sich auf der Femto- bis Pikosekunden Zeitskala (1 Pikosekunde = 1 ps = 10⁻¹² s) in andere Strukturen um. Der dem Absorptionskontinuum zu Grunde liegende Mechanismus ist stark umstritten.

Wissenschaftlern des Max-Born-Institutes für Nichtlineare Optik und Ultrakurzzeitspektroskopie in Berlin und der Ben Gurion Universität des Negev in Beer-Sheva, Israel gelang es nun den Ursprung des Breitbandkontinuums durch nichtlineare Infrarotspektroskopie mit Femtosekunden-Zeitauflösung aufzuklären. Für das spezifische Modellsystem H₅O₂⁺, das aus zwei Wassermolekülen bestehende und von einem Proton zusammengehaltene Zundel-Kation (H₂O…H⁺…OH₂), differenzierten sie in zeitaufgelösten Messungen das Zundelkontinuum von der OH Streck- und Biegeschwingungsdynamik der beiden Wassermoleküle (Abbildung 2).

Wie in Angewandte Chemie Int. Ed. (DOI: 10.1002/anie.201602523) berichtet, erlaubt eine gezielte Wahl der Femtosekunden-Anregebedingungen von Molekülschwingungen die Isolation der kurzlebigen Kontinuumsabsorption. Die verschiedenen Schwingungsanregungen weisen hierbei Lebensdauern von unter 60 fs auf, weitaus kürzer als die der OH Streck- und Biegeschwingungen in reinem Wasser.

Die theoretische Analyse der Resultate zeigt, dass die extreme Verbreiterung der Infrarotabsorption aus Bewegungen des inneren Protons unter dem Einfluss starker, schnell fluktuierender elektrischer Felder der umliegenden polaren Lösungsmittelmoleküle resultiert. Die Energie der Protonbewegung entlang der sogenannten Protontransferkoordinate (in Richtung der Verbindung der zwei Wassermoleküle in (H₂O…H⁺…OH₂) wird durch die externen Felder stark moduliert, was gleichzeitig zu einer Energiemodulation der Schwingungsübergänge führt.

So erkundet das System eine breite Verteilung von Übergangsenergien auf einer Zeitskala von weniger als 100 fs. Zusammen mit Schwingungsobertönen, Kombinationstönen und Schwingungen welche den Abstand zweier Wassermoleküle verändern, führen die durch das Feld modulierten Übergänge zu der beobachteten extremen Verbreiterung der Infrarotabsorption. Aufgrund der extrem schnellen strukturellen Fluktuationen werden bestimmte H⁺ Anordnungen sehr schnell verwaschen, d. h. das System weist eine extrem kurzlebige strukturelle Erinnerung auf.

Dieser neue Blick auf das Zundel-Kation geht deutlich über die vielen, in der Gasphase durchgeführten Studien an hydratisierten Protonen hinaus, in welchen aufgrund der Tieftemperaturbedingungen das Zundelkontinuum nicht beobachtet wird. Die Resulate sind für viele dynamische Aspekte hydratisierter Protonen von Bedeutung, sei es für den Protontransport in Wasser durch den berühmten von Grotthuss-Mechanismus, in Wasserstoff-Brennstoffzellen oder biologischen Systemen, deren Funktion durch die Translokation von Protonen bestimmt ist.

Publikation:
Dahms, F., Costard, R., Pines, E., Fingerhut, B. P., Nibbering, E. T. J. and Elsaesser, T. (2016), The Hydrated Excess Proton in the Zundel Cation H5O2+: The Role of Ultrafast Solvent Fluctuations. Angew. Chem. Int. Ed., DOI: 10.1002/anie.201602523

Kontakt:
Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI)
Max-Born-Str. 2A
12489 Berlin

Dr. Erik T. J. Nibbering
Tel. 030 6392 1477
nibberin@mbi-berlin.de

Prof. Dr. Thomas Elsässer
Tel. 030 6392 1400
elsaesser@mbi-berlin.de

Abb. 1: Die Hydratisierung von Protonen geht weit über das typische Textbuchbeispiel des Hydroniums (H₃O⁺) hinaus. Eigen- und Zundel-Kationen wurden nach den führenden Wissenschaftlern Manfred Eigen und Georg Zundel benannt, welche diese Strukturen in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts postuliert haben. Das lineare Absorptionsspektrum im mittleren Infrarotbereich zeigt die deutlichen Beiträge von OH Streck- und Biegeschwingungen der Wassermoleküle und das spektral sehr breite Zundelkontinuum. Dieses Zundelkontinuum resultiert aus den ultraschnellen Potentialfluktationen der Protontransferkoordinate, was die Modulation der Übergangsenergien von Fundamentalschwingung, Obertonschwingungen und Kombinationsschwingungen zur Folge hat.

Abb. 2: Transiente Infrarotspektren zeigen die unterschiedliche Antwort der OH- Streckschwingung und des Zundelkontinuums nach Femtosekundenanregung.
Grafik: MBI

Publikation:
Dahms, F., Costard, R., Pines, E., Fingerhut, B. P., Nibbering, E. T. J. and Elsaesser, T. (2016), The Hydrated Excess Proton in the Zundel Cation H5O2+: The Role of Ultrafast Solvent Fluctuations. Angew. Chem. Int. Ed., DOI: 10.1002/anie.201602523

http://www.mbi-berlin.de

Media Contact

Karl-Heinz Karisch Forschungsverbund Berlin e.V.

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Bakterien für klimaneutrale Chemikalien der Zukunft

For­schen­de an der ETH Zü­rich ha­ben Bak­te­ri­en im La­bor so her­an­ge­züch­tet, dass sie Me­tha­nol ef­fi­zi­ent ver­wer­ten kön­nen. Jetzt lässt sich der Stoff­wech­sel die­ser Bak­te­ri­en an­zap­fen, um wert­vol­le Pro­duk­te her­zu­stel­len, die…

Batterien: Heute die Materialien von morgen modellieren

Welche Faktoren bestimmen, wie schnell sich eine Batterie laden lässt? Dieser und weiteren Fragen gehen Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit computergestützten Simulationen nach. Mikrostrukturmodelle tragen dazu bei,…

Porosität von Sedimentgestein mit Neutronen untersucht

Forschung am FRM II zu geologischen Lagerstätten. Dauerhafte unterirdische Lagerung von CO2 Poren so klein wie Bakterien Porenmessung mit Neutronen auf den Nanometer genau Ob Sedimentgesteine fossile Kohlenwasserstoffe speichern können…

Partner & Förderer