Ein simples Molekül steuert das Sexualverhalten von Taufliegen

Schwarzbäuchige Taufliegen (Drosophila melanogaster) bei der Paarung auf einer Kiwi. Das Pheromon Methyllaurat löst bei der männlichen Fliege das Balzverhalten aus. Anna Schroll

Die Taufliege Drosophila melanogaster ist eines der am besten erforschten Lebewesen. Seit Jahrzehnten dient sie als Modellorganismus der Genetik, ihr Genom wurde im Jahr 2000 vollständig sequenziert. Dennoch war es Forschern bislang nicht gelungen, das spezifische Pheromon dieser Taufliegenart nachzuweisen, das zum Paarungserfolg führt.

Zwar waren die Pheromone bekannt, die Paarung unterdrücken, nicht jedoch die Sexuallockstoffe, die Balzverhalten und infolgedessen Paarung auslösen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie konnten jetzt ein vergleichsweise einfaches Molekül identifizieren, das nichtsdestotrotz in der Lage ist, das komplexe Paarungsverhalten der Taufliegen zu steuern.

Es handelt sich um den Fettsäuremethylester Methyllaurat. Der erfolgreiche Nachweis gelang durch die Kombination von modernsten chemischen Analyseverfahren, physiologischen Messungen im Fliegenhirn und Verhaltensexperimenten. (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, Mai 2015)

Pheromone sind Botenstoffe, die Information von Individuen einer Art an ihre Artgenossen übermitteln. Neben sogenannten Aggregationspheromonen, die eine Versammlung von Insekten derselben Art initiieren, oder Alarmpheromonen, die Artgenossen vor drohenden Gefahren warnen, sind vor allem die Sexualpheromone bekannt.

Insektenweibchen geben diese als Sexuallockstoffe ab, die eine anziehende Wirkung auf potenzielle Paarungspartner haben. Ende der 50er Jahre wurde mit dem Sexuallockstoff des Seidenspinnerweibchens, Bombykol, erstmals ein solches Pheromon identifiziert und in seiner Wirkung nachgewiesen. In zahlreichen weiteren Insektenarten konnten die Sexuallockstoffe identifiziert werden.

Pheromone werden beispielsweise erfolgreich in der Schädlingsbekämpfung eingesetzt, indem man den weiblichen Lockstoff nutzt, um Männchen in die Falle zu locken. Ausgerechnet bei der extrem gut erforschten Taufliege Drosophila melanogaster fehlte jedoch bisher der Nachweis eines Pheromons, das Männchen anlockt und Paarungsverhalten auslöst.

Die Forscher um Hany Dweck, Markus Knaden und Bill Hansson aus der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie mussten in ihren Untersuchungen zunächst einen Fehlschlag hinnehmen. In der Annahme, dass der Duft jungfräulicher Fliegenweibchen für Männchen besonders attraktiv ist, suchten sich in erster Linie nach Düften, die nur bei unverpaarten Weibchen vorkommen. Allerdings trugen die Untersuchungen nicht dazu bei, den Duft zu identifizieren, der ausschlaggebend für die Paarung war.

Physiologische und genetische Daten gaben jedoch Hinweise darauf, dass die Fliegen einen Neuronentyp besitzen, der auf ein Paarungssignal spezialisiert ist und auf eine ganz bestimmte, bislang unbekannte Substanz aus der Sammlung von Fliegendüften reagiert. Fehlt diese Sinnesnervenzelle, die den spezifischen Geruchsrezeptor Or47b aktiviert, ist der Paarungsdrang der Männchen gebremst.

Hany Dweck begann daher, Düfte von Tausenden von Taufliegen zu sammeln, von jungfräulichen und verpaarten Weibchen, aber auch von Männchen. Für die Analyse der Einzelduftkomponenten konnte er die neue Technik der Thermischen Desorptions-GC-MS anwenden. Diese Kombination von Gaschromatografie (GC) und Massenspektrometrie (MS) macht sich darüber hinaus die thermische Desorption zunutze, mit deren Hilfe auch kleinste Mengen flüchtiger Substanzen gemessen und identifiziert werden können.

Anschließend testete er mit Hilfe von physiologischen Messungen an der Fliegenantenne alle identifizierten Verbindungen auf ihre Fähigkeit, die pheromonspezifische Sinnesnervenzelle zu aktivieren. Von allen getesteten flüchtigen Verbindungen, die Taufliegen an ihre Umgebung abgeben, löste nur eine einzige eine starke Reaktion dieses Neurons aus: Methyllaurat, eine Substanz mit einer relativ einfachen Molekülstruktur, wie Analysen ergaben. „Als Chemiker waren wir fast enttäuscht, dass ein Molekül, das so etwas Wichtiges wie Sex vermittelt, eine so simple Struktur hat,“ sagt Aleš Svatoš, der die chemischen Analysen zur Identifizierung des Pheromons vorgenommen hat.

Methyllaurat kommt nicht nur bei jungfräulichen Weibchen vor, sondern auch bei weiblichen Fliegen, die sich bereits gepaart haben, und sogar bei Männchen. Die Substanz wird von der Sinneszelle aufgespürt, die den Geruchsrezeptor Or47b besitzt, der ausschließlich auf Methyllaurat reagiert. In Männchen löst Methyllaurat Balzverhalten aus. Dass der Duft unverpaarter Weibchen besonders attraktiv für die Männchen ist, liegt daran, dass die Männchen bei der Paarung die Substanz cis-Vaccenyl-Azetat übertragen, was die begatteten Weibchen für andere Männchen unattraktiv macht. Methyllaurat wird von einer weiteren spezifischen Sinneszelle aufgespürt, die den Geruchsrezeptor Or88a besitzt.

Fliegen, denen der Geruchsrezeptor Or47b fehlt, werden immer noch vom Duft anderer Fliegen angezogen, allerdings mit einem deutlich verminderten Paarungsdrang. Fehlt ihnen der Geruchsrezeptor Or88a, wirken die Düfte anderer Fliegen nicht mehr anziehend, allerdings ist das Paarungsverhalten dieser Fliegen normal. „Das neu entdeckte Pheromon aktiviert zwei unterschiedliche Schaltkreise im Fliegenhirn: Zum einen steuert es die Paarung von Männchen und Weibchen, zum anderen wirkt es als Aggregationspheromon,“ erläutert Versuchsleiter Markus Knaden die Ergebnisse der Verhaltensassays.

Interessanterweise konnten die Wissenschaftler Methyllaurat in allen getesten Drosophila-Arten nachweisen. Außerdem waren es in allen Arten die gleichen pheromonspezifischen, die Geruchsrezeptoren Or47b oder Or88a besitzenden Neuronen, die Methyllaurat aufspürten. Die von Methyllaurat ausgehenden Signale für Paarung sowie für Attraktivität scheinen in vielen Taufliegenarten konserviert zu sein. Um die Kreuzung verschiedener Arten zu verhindern, scheint jede Art spezifische Kohlenwasserstoffe auf der Außenhaut (Cuticula) zu bilden, die eine paarungshemmende Wirkung haben.

Die enge Zusammenarbeit von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen macht diese Art von Grundlagenforschung möglich. „Unsere Studie wäre ohne die interdisziplinäre Herangehensweise nicht möglich gewesen. Es ist großartig, dass wir die Ergebnisse unterschiedlicher Techniken, chemischer Analysen, elektrophysiologischer Messungen, bildgebender Verfahren und nicht zuletzt Verhaltensstudien zusammenführen können, und dass daraus eine so umfassende und spannende Geschichte entsteht,“ meint Bill Hansson, Direktor der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie.

In weiteren Versuchen wollen die Wissenschaftler den Biosyntheseweg von Methyllaurat eingehender betrachten. Insbesondere möchten sie der Frage nachgehen, ob die Fliege die Substanz selbst produziert, oder ob sie möglicherweise von symbiontischen Bakterien hergestellt wird. [AO]

Originalveröffentlichung:
Dweck, H. K. M., Ebrahim, S. A. M., Thoma, M., Mohamed, A. A. M., Keesey, I. W., Trona, F., Lavista-Llanos, S., Svatoš, A., Sachse, S., Knaden, M., Hansson, B. S. (2015). Novel pheromones mediate copulation and attraction in Drosophila. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. DOI 10.1073/pnas.1504527112
http://dx.doi.org/10.1073/pnas.1504527112

Weitere Informationen:
Markus Knaden, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Str. 8, 07743 Jena, +49 3641 57-1421, mknaden@ice.mpg.de
Bill S. Hansson, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Str. 8, 07743 Jena, +49 3641 57-1401, hansson@ice.mpg.de

Kontakt und Bildanfragen:
Angela Overmeyer M.A., Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Str. 8, 07743 Jena, +49 3641 57-2110, E-Mail overmeyer@ice.mpg.de

Download von hochaufgelösten Fotos über http://www.ice.mpg.de/ext/downloads2015.html

http://www.ice.mpg.de/ext/1208.html?&L=1
http://www.ice.mpg.de/ext/evolutionary-neuroethology.html?&L=1 (Abteilung Evolutionäre Neuroethologie)
http://www.ice.mpg.de/ext/627.html?&L=1 (Arbeitsgruppe Duftgesteuertes Verhalten)

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Angela Overmeyer Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

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