Ein Nanographen mit Hunger auf Elektronen

Über einen Nanometer groß ist das Molekül, das Würzburger Chemiker erstmals synthetisiert haben. Seine Tendenz, Elektronen aufzunehmen, macht es so interessant. Grafik: Sabine Seifert

Der Laie sieht einen dunkel-violetten Feststoff, der über keine sonderlich spektakulären Eigenschaften zu verfügen scheint. Der Experte hingegen freut sich über ein Nanographen-System mit 64 Kohlenstoffatomen in seinem Zentrum, das sich durch eine „Armut“ an Elektronen auszeichnet.

Sabine Seifert, Doktorandin am Lehrstuhl für Organische Chemie II, ist es unter Anleitung von Lehrstuhlinhaber Professor Frank Würthner jetzt gelungen, dieses System erstmals zu synthetisieren und in seiner Struktur zu analysieren. Die Fachzeitschrift Angewandte Chemie berichtet darüber in ihrer internationalen Ausgabe.

Kapazität für bis zu vier Elektronen

Eine Pyrenvorstufe erweitert um vier Naphtalimide bilden das neue Molekül, das in seinem Kern 64 sp2-hybridisierte Kohlenstoffatome trägt. In diesem Zentrum liegen die Atome flach nebeneinander und bilden eine planare Ebene; erst an seinem Rand, wo die Seitenketten ansetzen, nimmt die Dicke zu. Etwas mehr als einen Nanometer – also den millionstel Teil eines Millimeters – beträgt seine Kantenlänge.

Seine Besonderheit: „Es ist uns damit gelungen, eines der größten elektronenarmen Moleküle zu synthetisieren“, erklärt Sabine Seifert. Vergleichbare Synthesewege gebe es bislang nur wenige, so die Doktorandin. „Und die Synthesemethode, bei der zehn Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen auf einmal geknüpft werden, ist ebenfalls neu und könnte sich als wegweisend für die Herstellung einer neuen Materialklasse polycyclischer Aromaten erweisen“, fügt Professor Frank Würthner hinzu.

„Elektronenarm“: Das hat zur Konsequenz, dass das neue Molekül die Tendenz hat, weitere Elektronen aufzunehmen. Bis zu vier davon kann es sich „einverleiben“, konnte die junge Nachwuchswissenschaftlerin zeigen. Damit wird es für die organische Elektronik interessant. Als organischer Halbleiter könnte es dort den Elektronentransport übernehmen und neue Einsatzgebiete eröffnen.

Zusammenarbeit im Graduiertenkolleg

Einen neuen Syntheseweg entdecken und anschließend die Struktur und die Eigenschaften des so synthetisierten Moleküls aufschlüsseln: Das ist das Ziel der Zusammenarbeit in dem Graduiertenkolleg 2112, das im vergangenen Herbst an der Universität Würzburg gestartet ist und dessen Sprecher Ingo Fischer, Professor für Physikalische Chemie, ist.

In dessen Mittelpunkt stehen zwar eigentlich sogenannte Biradikale – also Moleküle mit zwei ungepaarten Elektronen. Denen kommt das neue Nanographen-System allerdings ziemlich nahe, wenn man es „nur“ mit zwei Elektronen auflädt. Es könnte aber auch Tri- und Tetraradikale möglich machen und damit bereits über die Zielsetzung des Graduiertenkollegs hinausgehen.

„Wir untersuchen, inwieweit die Elektronen miteinander wechselwirken, wie sich ihr Spin verhält und ob sich möglicherweise (bi-)radikalische Zustände entwickeln“, erklärt Sabine Seifert. Biradikale spielen unter anderem bei Verbrennungsprozessen oder in der Atmosphärenchemie eine wichtige Rolle.

So gehören zum Beispiel Sauerstoff und Ozon zu dieser Verbindungsklasse. Ihre Eigenschaften können darüber hinaus für die Entwicklung neuer optoelektronischer Materialien genutzt werden. Aus diesem Grund ist es das Ziel des Graduiertenkollegs, die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Biradikalen noch besser zu verstehen und gezielt zu beeinflussen.

Gut zwei Jahre hat Sabine Seifert im Rahmen ihrer Doktorarbeit im Labor experimentiert, bis ihr die Synthese des Nanographen-Systems gelungen ist. In einem nächsten Schritt plant sie nun, die Seitenketten zu variieren und zu untersuchen, wie sich diese Veränderungen auf die Eigenschaften des Moleküls auswirken.

An Electron-Poor C64 Nanographene by Palladium-Catalyzed Cascade C-C Bond Formation: One-Pot Synthesis and Single-Crystal Structure Analysis. Sabine Seifert, Kazutaka Shoyama, David Schmidt, and Frank Würthner. Angewandte Chemie, DOI: 10.1002/ange.201601433

Kontakt

Prof. Dr. Frank Würthner, Institut für Organische Chemie der Universität Würzburg
T: (0931) 31-85340, wuerthner@chemie.uni-wuerzburg.de

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Gunnar Bartsch Julius-Maximilians-Universität Würzburg

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