Der Stammbaum der Stabschrecken

Dr. Sven Bradler Foto: Universität Göttingen

„Bislang wurden die verwandtschaftlichen Beziehungen innerhalb der Stabschrecken bestenfalls an einer Handvoll Genen untersucht. Dies ist die erste Studie, bei der für jede Art weit über 2000 Gene vergleichend analysiert wurden“, erklärt Dr. Sven Bradler von der Universität Göttingen, Seniorautor der Studie.

38 Stab- und Gespenstschrecken aus aller Welt, darunter auch ein Wandelndes Blatt, standen den Forscherinnen und Forschern des 1KITE-Projekts (1000 Insect Transcriptome Evolution) für diese Untersuchung zur Verfügung.

„Bisherige Studien waren nicht in der Lage, die frühe Evolution dieser Insekten aufzuklären. Dies hat sich mit dem deutlich umfangreicheren neuen Datensatz nun geändert, der auch die Entstehung der frühesten Linien nachzuzeichnen vermag“, erläutert Dr. Sabrina Simon, Erstautorin des Artikels von der Universität Wageningen.

Das verblüffendste Ergebnis hierbei ist, dass die Verwandtschaftsbeziehungen der früh entstandenen Großgruppen der Stab- und Gespenstschrecken bisherige Ansichten weitgehend widerlegen. Sie entsprechen viel stärker der geografischen Verbreitung als der körperlichen Ähnlichkeit der Tiere. So deckte das Team eine neuweltliche Linie ausschließlich süd- und nordamerikanischer Arten und eine ursprünglich altweltliche Linie auf, die von Afrika bis Neuseeland reicht.

Die Rekonstruktion der biogeografischen Geschichte der Insekten, die Sarah Bank, Doktorandin an der Universität Göttingen und Co-Autorin der Studie, durchführte, brachte darüber hinaus weitere unerwartete Ergebnisse: „Die völlig unterschiedlich aussehenden Stabschrecken Madagaskars gehen auf einen einzigen gemeinsamen Vorfahren zurück, der diese Insel vor etwa 45 Millionen Jahre besiedelte.“

Die Altersbestimmung des Stammbaums lässt zudem den Schluss zu, dass die meisten Linien erst nach Aussterben der Dinosaurier vor etwa 66 Millionen Jahren entstanden. Somit ist die bemerkenswerte Tarnung dieser Insekten vermutlich anschließend als Anpassung an räuberische Vögel und Säugetiere entstanden.

„Stabschrecken gewinnen zunehmend an Bedeutung als Modellorganismen für evolutionsbiologische Forschung“, erklärt Bradler mit Blick auf zukünftige Studien. „Der umfangreiche neue molekulare Datensatz ist noch lange nicht erschöpfend ausgewertet und dürfte noch spannende Erkenntnisse hinsichtlich der Funktion der zahlreichen ermittelten Gene bereithalten.“

Dr. Sven Bradler
Georg-August-Universität Göttingen
Johann-Friedrich-Blumenbach-Institut für Zoologie und Anthropologie
Untere Karspüle 2, 37073 Göttingen
Telefon: (0551) 39-25430
Email: sbradle@gwdg.de

Internet: http://www.uni-goettingen.de/de/207553.html

Sabrina Simon et al. Old World and New World Phasmatodea: Phylogenomics Resolve the Evolutionary History of Stick and Leaf Insects. Frontiers (2019). https://doi.org/10.3389/fevo.2019.00345

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Thomas Richter idw - Informationsdienst Wissenschaft

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